Ausgabe Dezember 2024

Dividenden statt Investitionen

Wie die Finanzialisierung den Klimaschutz verhindert und die soziale Infrastruktur aushöhlt

Symbolbild: Die Skulptur des Bullen vor der Frankfurter Börse. Immer mehr Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge werden der Logik der Finanzwelt unterworfen (IMAGO / Eibner)

Bild: Symbolbild: Die Skulptur des Bullen vor der Frankfurter Börse. Immer mehr Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge werden der Logik der Finanzwelt unterworfen (IMAGO / Eibner)

Ob bei der Wasserversorgung, in der Pflege oder im Gesundheitssektor: Bereits seit einigen Jahrzehnten kommt es selbst in systemrelevanten Bereichen immer wieder zu Privatisierungen. In Zeiten knapper staatlicher Kassen sollen dem Staat damit Kosten erspart und zugleich effizientere, wettbewerbsfähige Unternehmen geschaffen werden. Oft wird diese Politik als „neoliberal“ bezeichnet, doch der Begriff ist unzureichend. Denn selbst neoliberale Vordenker wie Friedrich August von Hayek oder James Buchanan wussten, dass es Bereiche gibt, die nicht der Markt, sondern nur der Staat sinnvoll organisieren kann. Dennoch steigen Finanzinvestoren zunehmend auch in diese Bereiche ein. Und anstatt die staatliche Finanzierungslücke auszugleichen und effizienter zu wirtschaften, richten die Investoren die Geschäftsmodelle der Unternehmen in erster Linie nach den Bedürfnissen des Finanzmarktes aus. Nicht selten steht dann nicht mehr die Erfüllung des Unternehmenszwecks im Vordergrund, sondern die kurzfristige Gewinnmaximierung zugunsten der Investoren – ein Prozess, der auch als Finanzialisierung bezeichnet wird.

Insbesondere in Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge wie Wasser, Gesundheit oder Wohnen richtet diese Finanzialisierung oft schweren Schaden an. Ein markantes Beispiel ist die Wasserversorgung in Großbritannien. Diese wurde bereits Ende der 1980er Jahre in Erwartung höherer Effizienz privatisiert und seitdem von unterschiedlichen Investoren nach den Bedürfnissen des Finanzmarkts umstrukturiert – die dazu hohe Schulden aufgenommen haben. Die Konsequenzen zeigen sich etwa bei Thames Water: Das Unternehmen droht unter seiner enormen Schuldenlast von rund 14 Mrd. Pfund – ungefähr 80 Prozent seiner Vermögenswerte – zusammenzubrechen. Das aber hätte gravierende Folgen für die Wasser- und Abwasserversorgung seiner 15 Millionen Kund:innen. Seit Frühjahr 2023 überlegen die britische Regierung und die staatliche Wasser-Regulierungsbehörde daher, das Unternehmen unter Sonderverwaltung zu stellen.[1] Dennoch wurden zuletzt die Kosten für Kund:innen deutlich angehoben[2], während weiter Boni an die Chefetage ausgezahlt wurden[3]. Für die Zukunft ist es nicht ausgeschlossen, dass der Staat für die Schuldenlast des Unternehmens haftet und damit für das riskante Geschäftsmodell der vorherigen Eigentümer:innen aufkommt, die eine Zeit lang damit hohe Profite erzielt hatten.

Die neuen Eigentümer investierten zudem kaum noch in diese Unternehmen und sorgen nun für Negativschlagzeilen: Die Meldungen reichen von hohen Wasserverlusten bis hin zu verheerender Umweltverschmutzung. Auch ehemalige Befürworter:innen geben inzwischen zu, dass der Privatisierungsprozess die Versprechen nicht eingelöst hat, mit denen sie ihn einst angepriesen hatten: „Es ist Zeit, sich einzugestehen, dass die Privatisierung der Wasserversorgung ein Fehler war“, konstatierte etwa eine ehemalige Beraterin des früheren Premierministers David Cameron.[4]

Solche Prozesse der Finanzialisierung, also des wachsenden Einflusses des Finanzsektors auf die Realwirtschaft, werden seit langem diskutiert.[5] Wie diese mit den gesellschaftlichen Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation zusammenhängen, wird dabei allerdings weitgehend außer Acht gelassen. Dabei sind beide Prozesse eng miteinander verknüpft, schließlich wird die Art und Weise, wie die für die Transformation nötigen Investitionen getätigt und Ressourcen bereitgestellt werden, zunehmend durch die Finanzmärkte bestimmt.

Die Mobilisierung privaten Kapitals

Die sozial-ökologische Transformation wird allüberall enorme Summen an Kapital erfordern und es herrscht größtenteils Einigkeit darüber, dass die Finanzierung sowohl aus privaten als auch aus öffentlichen Mitteln erfolgen muss. Weniger Einigkeit herrscht hingegen über den vom Staat festzulegenden rechtlichen Rahmen, in dem privates Kapital einen positiven Beitrag zum Transformationsprozess leisten kann. Vor dem Hintergrund restriktiver Fiskalregeln – Stichwort: Schuldenbremse – konzentriert sich der deutsche Staat ungeachtet der negativen Erfahrungen sowohl hierzulande als auch andernorts derzeit in erster Linie auf die Mobilisierung von privatem Kapital. Indem er günstige Bedingungen und positive Anreize für den privaten Sektor schafft, soll dieser motiviert werden, in die sozial-ökologische Transformation zu investieren. Dabei spielen Vereinbarungen zur Risikoteilung bisher nur eine geringe Rolle, obwohl  eine Industriepolitik, die nicht nur die Interessen privater Anleger:innen berücksichtigt, sondern auch das öffentliche Interesse im Blick hat, enorm wichtig ist. Die bisher geleisteten Staatshilfen fallen jedoch sehr einseitig aus: Der Staat trägt Kosten und Risiken, während private Investor:innen die Gewinne einstreichen.[6] Deshalb besteht die Gefahr, dass auch künftige Staatshilfen der Finanzialisierungslogik – kurzfristige Gewinne unterminieren langfristige Investitionen zu-gunsten aller – unterworfen werden und so mehr sozial-ökologischen Schaden anrichten als Nutzen bringen.

Ausschütten statt aufbauen

Obwohl Investitionen in den grünen, digitalen und sozialen Wandel dringend nötig sind, fließt privates Kapital oft nicht dorthin, wo es am meisten gebraucht wird. Vielmehr schütten börsennotierte Unternehmen ihre Gewinne häufig als Dividenden aus, statt sie in nachhaltige realwirtschaftliche Projekte zu investieren. Dies ist besonders problematisch, wenn diese Unternehmen gleichzeitig staatliche Unterstützung wie Risikoübernahmen oder Subventionen in Anspruch nehmen[7] oder sie einfordern, wie zuletzt in der Diskussion um einen Industriestrompreis. Das ist keine Überraschung, denn unreguliert richten sich börsennotierte Unternehmen ihrem Selbstverständnis nach an den Interessen der Aktionär:innen aus, dem sogenannten Shareholder-Value, und fokussieren sich auf kurzfristige Gewinne. Studien aus Frankreich, den Niederlanden und Deutschland zeigen, dass die größten Unternehmen zuletzt weniger investierten, während die Dividendenzahlungen an Aktionär:innen stark zunahmen. In den Niederlanden stiegen die Dividenden zwischen 2019 und 2022 um fast 60 Prozent, obwohl die Unternehmensgewinne nur um 36 Prozent zunahmen.[8] Auch in Deutschland und Großbritannien wuchsen die Dividendenausschüttungen der größten Unternehmen im letzten Jahrzehnt deutlich im Vergleich zu den Gewinnen.[9]

Sogar in Jahren mit wirtschaftlichen Verlusten wurden Dividenden gezahlt. Diese hohen Ausschüttungen haben zur Folge, dass den Unternehmen weniger Kapital für Investitionen zur Verfügung steht. Hätten die 40 größten börsennotierten Unternehmen in Frankreich 2018 nur 30 Prozent der gezahlten Dividenden ausgeschüttet, hätten die Mittel den gesamten Investitionsbedarf für die ökologische Transformation der Unternehmen in diesem Jahr gedeckt.   Zusätzlich dazu verringern Aktienrückkaufprogramme, die den Aktienwert eines Unternehmens im Sinne der Aktionär:innen steigern sollen, das Kapital der Unternehmen, das diese reinvestieren können. Für 2024 planten deutsche Dax-Konzerne so viele eigene Aktien zurückzukaufen wie nie zuvor.[10] Unterdessen treiben sogenannte Private-Equity-Firmen seit mehr als einem Jahrzehnt die Finanzialisierung der Daseinsvorsorge voran. Private Equity hat sich in den 1980er Jahren als ein Modell von Beteiligungsgesellschaften entwickelt und taucht seitdem in immer mehr Wirtschaftsbereichen auf.

Private Rendite, geschmälerte Daseinsvorsorge

Private-Equity-Firmen bündeln Geld von privaten Anlegern sowie Pensions- oder Staatsfonds in geschlossenen Fonds. Insbesondere kapitalgedeckte Rentensysteme fördern diesen Prozess, indem sie in Private Equity investieren.[11] So haben Pensionsfonds aus angloamerikanischen sowie aus europäischen Ländern wie den Niederlanden, Dänemark, Finnland oder Schweden in den letzten Jahren ihr Investment in Private-Equity-Firmen erhöht, in der Hoffnung auf höhere Renditen für ihre Mitglieder. Mit den Finanzmitteln der Investoren werden Unternehmen aufgekauft und nach finanziellen Zielvorgaben umstrukturiert. Der Anlagezeitraum beträgt meist weniger als zehn Jahre, danach werden die Erträge an die Investoren zurückgeführt. Die kurzfristige Renditeorientierung führt dazu, dass Unternehmen nach finanzmarktspezifischen Gesichtspunkten wie einem hohen Cashflow, hoher Eigenkapitalrendite und Steuervermeidungsstrategien umstrukturiert – also finanzialisiert – werden. Sprich: Die Unternehmen müssen in sehr kurzer Zeit Gewinne realisieren. Projekte der sozial-ökologischen Transformation, die eine langfristige Finanzierung erfordern, finden in dieser Logik keinen Platz.

Seit mehr als einem Jahrzehnt erwerben Private-Equity-Firmen europaweit immer mehr Unternehmen im Bereich der Daseinsvorsorge und verwandeln diese in profitable Finanzanlagen für Investor:innen – mit negativen Folgen für die Gesellschaft. Denn Übernahmen führen meist zu sinkenden Investitionen etwa in die Versorgung von Pflegebedürftigen und zu erhöhter Gewinnabschöpfung und in der Folge zu hochverschuldeten Gesundheits- und Pflegeunternehmen. Bereichen wie der Pflege oder dem Gesundheitssektor werden auf diese Weise Gelder entzogen – auf Kosten beispielsweise der Pflegeheimbewohner, die zugleich unter steigenden Preisen und schlechteren Bedingungen leiden. Dabei hat spätestens die Coronapandemie gezeigt, dass dringend in den Gesundheits- und Pflegebereich investiert werden müsste. Schließlich hatte sich der Staat aus beiden Bereichen jahrelang zurückgezogen und stattdessen Finanzinvestor:innen Tür und Tor geöffnet. Für diese gilt der Gesundheits- und Pflegesektor als besonders krisenfester, renditestarker Wachstumsmarkt, denn die Bezahlung der von den Unternehmen erbrachten Leistungen ist im Zweifelsfall durch öffentliche Mittel garantiert und das geschäftliche Risiko daher gering.[12]

Eine weitere Strategie von Private-Equity-Firmen, Gewinne zu generieren, besteht darin, dass sie Kredite an die von ihnen übernommenen Unternehmen vergeben oder deren Gebäude überteuert wieder an sie vermieten. Denn für die investorengetriebene Umstellung ihres Geschäftsmodells benötigen die aufgekauften Unternehmen Kredite. Diese werden von Banken, aber auch von den Investoren selbst gegeben. Die Zinsen der Kredite fließen somit teils direkt als Gewinn an die Investoren, während die übernommenen Unternehmen eine hohe Schuldenlast stemmen müssen. Daneben trennen Private-Equity-Firmen auch Vermögenswerte wie Immobilien aus den von ihnen übernommenen Unternehmen heraus, verschieben diese in eigene Portfolios und verlangen anschließend von den übernommenen Unternehmen eine überhöhte Miete.

Strategien wie diese ermöglichen es den Investoren, ihre hohen Gewinnerwartungen zu erfüllen. Darüber hinaus entziehen Private-Equity-Firmen den öffentlichen Kassen steuerliche Einnahmen, indem sie Gelder über Offshore-Finanzzentren transferieren.[13] In Großbritannien fließen etwa zehn Prozent aller jährlichen Einnahmen des Pflegesektors unversteuert über Offshore-Finanzzentren an Finanzinvestoren.[14] Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch in vielen EU-Ländern beobachten.[15] Solche massiven Gewinnentnahmen haben Konsequenzen für die Qualität der von den Unternehmen geleisteten Dienste, was sich in den zahlreichen Pflegeskandalen in Deutschland, Spanien, Frankreich, den USA und dem Vereinigten Königreich widerspiegelt. Die Skandale reichen von höheren Abrechnungskosten[16], schlechter Versorgung und Mangelernährung der Bewohner:innen[17] bis hin zu einer höheren Mortalitätsrate[18] in Pflegeheimen, die sich im Besitz von Private-Equity-Firmen befinden. Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen dies: Eine Studie der Harvard Medical School etwa verzeichnet ernsthafte gesundheitliche Folgen für Patient:innen in von Private-Equity-Firmen übernommenen Krankenhäusern in den USA.[19] Und auch eine schwedische Studie fand heraus, dass finanzialisierte Pflegeheime Leistungen in geringerer Qualität erbringen als solche anderer Trägerformen.[20]

Auch Arztpraxen wurden von Finanzinvestoren in den vergangenen Jahren als attraktive Finanzanlage identifiziert. Vor der Zinswende 2021, als der Zinssatz noch um die Null-Prozent-Marke pendelte, wuchs die Zahl der Aufkäufe von Private-Equity-Firmen im globalen Gesundheitsbereich auf den bis dato höchsten Stand. Auch für Deutschland stiegen solche Aufkäufe deutlich an.[21] Wie Pflegeheime und Krankenhäuser werden auch Arztpraxen nach dem Aufkauf oft übermäßig verschuldet.[22] Damit erhöht sich die Gefahr von Pleiten, wie sie 2023 etwa in den USA zunehmend verzeichnet wurden – verschärft noch durch zu geringe finanzielle Eigenmittel. Durch die zahlreichen Aufkäufe entstehen zudem oft monopolartige Strukturen. Das geschah etwa bei Anästhesie-Unternehmen in den USA, aber auch bei Augenarztpraxen in Deutschland – oftmals unbemerkt von den Aufsichtsbehörden.

Das Geschäft mit der Wohnungsnot

Auch aus dem Wohnungsmarkt haben sich der Staat und gemeinnützige Wohnungsunternehmen in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgezogen, während börsennotierte Unternehmen und Private-Equity-Unternehmen massiv investierten – mit der Folge, dass sich die dort herrschenden sozialen Probleme massiv verschärft haben. Zwischen 2009 und 2020 ist das jährliche Gesamtvolumen der Kapitalanlagen in europäische Wohnimmobilien um mehr als 700 Prozent auf über 60 Mrd. Euro gestiegen.[23] Trotzdem oder genauer, auch deswegen hat sich zugleich die Wohnungsnot deutlich verschärft: Insbesondere in Ballungszentren steigen die Mieten immer weiter an. Die Europäische Zentralbank warnt angesichts dessen davor, dass sich – verstärkt durch das Agieren der Finanzinvestoren – eine Immobilienblase entwickeln könnte.[24] Um die Nachfrage nach knappem Wohnraum zu befriedigen, setzt die Politik vor allem auf das Kapital der großen Wohnungsunternehmen und Finanzinvestoren, das in den Neubau gelenkt werden soll. Dabei haben diese in der Vergangenheit kaum Interesse am Neubau gezeigt. Vonovia, das größte Wohnungsunternehmen in Deutschland, baute 2021 – in Zeiten niedriger Zinsen – nur knapp 2000 neue Wohnungen, bei einem Bestand von deutlich mehr als einer halben Mio. Einheiten. Statt in Neubau zu investieren, sucht das Kapital, das über die Finanzinvestoren in den Häusermarkt fließt, nach Anlagemöglichkeiten in bereits bestehende Immobilien. Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist für diese Akteure schlicht nicht attraktiv. Und auch Investitionen in Instandhaltung oder energetische Erneuerungen sind für diese Akteure nicht prioritär, schließlich richten sie sich nach kurzfristigen Profitinteressen.[25] Daher werden auch in diesem Sektor Gewinne lieber ausgezahlt als reinvestiert: 2021 flossen bei deutschen börsennotierten Wohnungsunter-nehmen 41 Prozent der Mietzahlungen als Dividende an Aktionär:innen. Zudem profitieren Finanzinvestoren auf nationaler Ebene von Steuerprivilegien, was die Wohnungsnot noch vergrößert. So müssen private Anleger:innen in Deutschland beim Erwerb von Immobilien Grunderwerbsteuer zahlen, während große Wohnungsunternehmen diese dank sogenannter Share Deals umgehen können, weil sie nicht das Grundstück selbst kaufen, sondern nur Anteile an der grundbesitzenden Gesellschaft. Dieses Vorgehen lässt insgesamt die Häuserpreise weiter steigen: Denn die Verknappung durch übermäßige Nachfrage führt zu Häuserpreisen, die sich von realwirtschaftlichen Werten völlig entkoppeln. Kaufen kann dann schlicht nur noch ein auf reine Spekulation und alsbaldigen Wiederverkauf setzender Investor.[26] In Frankreich verursachten solche Steuervergünstigungen für Wohnimmobilien innerhalb von zwölf Jahren Mindereinnahmen in Höhe von elf Mrd. Euro. Mit diesem Geld hätte der Staat mehr als 70 000 Sozialwohnungen finanzieren können. Gleichzeitig ist die Belastung durch Wohnkosten für die ärmsten 25 Prozent der Bevölkerung in Frankreich doppelt so hoch wie für die Wohlhabendsten – und steigen die Mietpreise nach wie vor.[27]

Klare Regeln für privates Kapital!

Die Bilanz der unregulierten Einbindung von Finanzinvestoren in Bereiche der Daseinsvorsorge ist ernüchternd. Überall priorisieren Investoren die Gewinnextraktion gegenüber der Erbringung qualitativ hochwertiger Leistungen, sei es in der Pflege, der Gesundheitsversorgung oder beim Wohnen. Die Finanzialisierung dieser Bereiche verschärft die soziale Ungleichheit sogar noch: Diese ist in den vergangenen Jahren auf dem gesamten Globus gestiegen: Weltweit sind 2024 Milliardär:innen, trotz anhaltender Dauerkrisen, 3,3 Bill. Dollar reicher als 2020. Gleichzeitig sind die ärmsten 60 Prozent der Weltbevölkerung rund 20 Mrd. Dollar ärmer.[28]

Dieser durch die Finanzialisierung verschärfte Trend ist auch ein Problem für die sozial-ökologische Transformation, denn je höher die Ungleichheit in einer Gesellschaft ist, desto geringer fällt die Unterstützung für die Klimapolitik aus, wie Studien zeigen.[29] Wenn die Politik in der Transformation also weiterhin blind den Finanzmärkten vertraut, wird das mit ziemlicher Sicherheit die Ungleichheit weiter erhöhen und damit sowohl ökologische Reformen gefährden als auch den gesellschaftlichen Rechtsruck befeuern.

Nichtsdestotrotz werden privates Kapital und unternehmerische Initiative auch zukünftig für die sozial-ökologische Transformation benötigt. Damit privates Kapital jedoch sinnvoll in die Transformation investiert werden kann, bedarf es dringend eines wirksamen Regulierungsrahmens. Andernfalls führen die Mobilisierung von privatem Kapital und die Förderung privater Investoren zu den beschriebenen unbeabsichtigten Folgen: fehlende langfristige Investitionen, übermäßige Dividendenzahlungen, Qualitätseinbußen, überschuldete Unternehmen und wachsende soziale Ungleichheit.

Wie aber kann sichergestellt werden, dass die verstärkte Einbindung von Privatkapital in die sozial-ökologische Transformation nicht zu einer neuerlichen Welle der Finanzialisierung führt?

Erstens bedarf es klarer Bedingungen für staatliche Hilfen an Unternehmen. Eine auf Konditionalität beruhende Politik muss sicherstellen, dass Risiken nicht sozialisiert werden, während Gewinne bei den privaten Akteuren verbleiben. Sämtliche Formen von Staatshilfen, Subventionen oder Risiko-beteiligungen müssen an die Bedingung geknüpft werden, dass keine Dividenden an Aktionär:innen ausgeschüttet werden dürfen. Ebenso dürfen in dieser Zeit keine Aktienrückkäufe getätigt werden. In den USA wurde ein erster Schritt unternommen: Mit der Einführung des Inflation Reduction Act wurde eine Steuer auf Aktienrückkäufe eingeführt, um sicherzustellen, dass der Staat an solchen Gewinnausschüttungen beteiligt wird.[30] In den besonders sensiblen Bereichen der Daseinsvorsorge gilt es, zweitens, eine übermäßige Kapitalrendite zu verhindern. Für diese Sektoren sollte eine Ausschüttungsobergrenze gelten, die so bemessen wird, dass Investoren zwar eine auskömmliche Rendite auf ihr eingesetztes Kapital erzielen können, Gewinne, die über diese Obergrenze hinausgehen, aber auf Dauer im Unternehmen verbleiben und dort reinvestiert werden müssen.

Drittens sollte die EU Finanzinvestoren als wirtschaftliche Eigentümer für ihre riskanten Geschäftsmodelle haftbar machen. Denn derzeit hebeln diese durch ihr globales Agieren mit Hilfe komplexer Fondsstrukturen und Unternehmensgeflechte grundlegende marktwirtschaftliche Prinzipien wie eine klare Eigentümerschaft und Haftungsverantwortung aus.

Schließlich kann die sozial-ökologische Transformation nur mit Hilfe stabiler Finanzmärkte erreicht werden. Marktunsicherheiten, die immer wieder durch mangelnde Finanzstabilität entstehen, gefährden durch die Angst vor Ansteckungsrisiken einen gesicherten Kapitalfluss und damit auch die Finanzierung langfristiger Transformationsprojekte. Daher gilt es, viertens, die Finanzstabilität mit dem Transformationsprozess zusammenzudenken.

Wie nach der letzten globalen Finanzkrise 2008 versprochen, sollten Finanzmarktregulierungen grundlegende europäische Reformen umsetzen. Banken müssen mit mehr Kapital und Liquidität ausgestattet sein, um in Krisenzeiten standzuhalten. Ebenso braucht es im Rahmen der Bankenunion eine starke Bankenaufsicht nach Vorbild der FDIC in den USA, die Institute mit minimalen Kosten für die europäischen Steuerzahler:innen abwickeln kann. Außerdem sollte das Trennbankenprinzip eingeführt werden, durch das die riskanten Eigenhandelsgeschäfte der Banken klar vom Kundengeschäft getrennt werden. Insgesamt kann nur ein gut regulierter und stabiler Finanzmarkt ein verlässlicher Partner für das riesige Projekt der sozial-ökologischen Transformation sein.

[1] Vgl. Holly Williams, Contingency plans being drawn up for possible collapse of Thames Water – reports, standard.co.uk, 28.6.2023.

[2] Gill Plimmer und Oliver Ralph, Thames Water pushes up spending plan to almost £20bn, in: „Financial Times“, 22.4.2024, www.ft.com.

[3] Gill Plimmer, Thames Water chief defends bonus amid plan for hefty bill increases, in: „Financial Times“, 9.7.2020.

[4] Camilla Cavendish, Privatising water was never going to work, in: „Financial Times“, 19.2.2022.

[5] Marcel Heires und Andreas Nölke (Hg.), Politische Ökonomie der Finanzialisierung, Wiesbaden 2014.

[6] Vgl. Mariana Mazzucato, The value of everything: Making and taking in the global economy, London 2018.

[7] Michael Peters und Marcus Wolf, Auch Dividenden müssen in den Lockdown, makronom.de, 24.3.2021.

[8] Tijmen de Vos, Stijgende Prijzen en Hoge Winsten, FNV, April 2023, fnvsawebprd.blob.core.windows.net.

[9] Barbara Sennholz-Weinhardt, Michael Peters und Uwe Zöllner, Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit, Finanzwende Recherche und Oxfam Deutschland (Hg.), November 2021.

[10] Quentin Parrinello, 2020, CAC 40: Des Profits Sans Lendemain? Inégalités, Climat: Pistes Pour Bâtir L’entreprise Du Monde D’Après, Oxfam France und The BASIC, oxfamfrance.org, 15.6.2020.

[11] Vgl. Ulf Sommer, Das Rückkauf-Risiko, handelsblatt.com, 18.1.2024.

[12] Benjamin Braun, Fuelling Financialization: The Economic Consequences of Funded Pensions, in: „New Labor Forum“, 1/2022.

[13] Vgl. Théo Bourgeron, Caroline Metz und Marcus Wolf, Private-Equity-Investoren in der Pflege, Finanzwende Recherche und Heinrich Böll Stiftung (Hg.), 2021.

[14] Die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung versucht dieses Problem anzugehen. Die Wirksamkeit ist in diesen Fällen jedoch beschränkt, da ein Großteil der Finanzunternehmen nicht von der Besteuerung betroffen ist.

[15] Vivek Kotecha, Plugging the leaks in the UK care home industry, CHPI - Centre for Health and the Public Interest (Hg.), chpi.org.uk, November 2019.

[16] Vgl. Nico Schmidt und Harald Schumann, Heime als Gewinnmaschinen für Konzerne und Investoren, investigate-europe.eu, 24.8.2021.

[17] Eileen Applebaum und Rosemary Batt, Private Equity and Suprise Medical Billing, ineteconomics.org, 4.9.2019.

[18] Claudia Gürkow, Christiane Hawranek und Melanie K. Marks, Altenheim: Verdacht auf Körperverletzung bei 88 Bewohnern, Bayrischer Rundfunk, 24.3.2021.

[19] Gupta et al., Owner Incentives and Performances in Healthcare: Private Equity Investment in Nursing Home, in: “The Review of Financial Studies” 4/2024, S. 1029-1077.

[20] Jake Miller, What Happens When Private Equity Takes Over a Hospital, hms.harvard.edu, 26.12.2023.

[21] Rasmus Broms, Carl Dahlström und Marina Niskotskaya, Provider Ownership and Indicators of Service Quality: Evidence from Swedish Residential Care Homes, in: „Journal of Public Resaerch and Theory“, 1/2024, S. 150-163.

[22] Bain & Company, Global Private Equity Report 2024, bain.com, März 2024; Anette Dodiweit, Die Arztpraxis als Renditeobjekt, in: „Blätter“, 3/2020, S. 9-12.

[23] Aurora Li, Uwe Zöllner und Michael Peters, Profite vor Patientenwohl: Private-Equity-Beteiligungen an Arztpraxen in Deutschland, finanzwende-recherche.de, Mai 2023.

[24] José Miguel Calatayud u.a., Wie internationale Investments den Wohnungsmarkt umwälzen, interaktiv.tagesspiegel.de, 2.6.2022.

[25] Emil Badoni u.a., Institutional investors and house price growth, ecb.europa.eu, Mai 2023.

[26] Jorim Gerrard, Uwe Zöllner und Michael Peters, Rendite mit der Miete – Wie die Finanzmärkte die Wohnungskrise in Deutschland befeuern, finanzwende-recherche.de, November 2023.

[27] Nico Schmidt und Harald Schumann, Wie Steuerprivilegien die Wohnungsnot vergrößern, investigate-europe.eu, 8.12.2022.

[28] Oxfam France, Logement: Inégalités À Tous Les Étages, oxfamfrance.org, 4.12.2023.

[29] Oxfam Deutschland, Inequality Inc.: Bericht zur sozialen Ungleichheit 2024, oxfam.de, 15.1.2024.

[30] Vgl. Daniel Driscoll und Marc Blyth, Just Who Gets Paid-Off in a „Just“ Transition? Some difficult lessons from BlackRock and French populists, eu.boell.org, 21.4.2022.

[31] U.S. Department of the Treasury and IRS Release Proposed Guidance on Stock Buyback Excise Tax to Ensure Large Corporations Pay More of Their Fair Share in Taxes, home.treasury.gov, 9.4.2024.

Aktuelle Ausgabe Oktober 2025

In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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