"Der türkische Staat hat versagt!" Selten waren sich die Kommentatoren der deutschen und der türkischen Presse so einig wie nach dem schweren Erdbeben, das in der Nacht zum 17. August 1999 die im Westen der Türkei gelegene Region um das Marmarameer erschüttert hatte. Als sich die verheerenden Ausmaße der Naturkatastrophe abzeichneten, war der ansonsten allgegenwärtige Leviathan im Katastrophengebiet nicht zu sehen. Die vom Beben betroffene Bevölkerung blieb mangels staatlich koordinierter Rettungsmaßnahmen zunächst auf Selbsthilfe angewiesen. In beeindruckender Geschwindigkeit hatten spontane Initiativen und Nichtregierungsorganisationen gemeinsam mit vom Ausland entsandten Helfern die notwendigen Hilfs- und Rettungsmaßnahmen eingeleitet, Tote und Verletzte geborgen sowie die Versorgung der Obdachlosen mit Wasser, Nahrung und Notunterkünften organisiert. Die militärische und politische Elite des Landes hingegen war mit sich selbst beschäftigt.
Während sich die türkische Armee mit der Unterstützung eines Teams israelischer Spezialisten zuerst um ihre eigenen Opfer im Marinestützpunkt Gölkük kümmerte, kamen aus Ankara Verlautbarungen, die sich mehr durch nationalistische Selbstüberschätzung als durch politische Verantwortung auszeichneten.