Ausgabe Dezember 2000

Wir stehen auf für Menschlichkeit und Toleranz

Rede von Bundespräsident Johannes Rau anläßlich der Berliner Demonstration am 9. November 2000 (Wortlaut)

Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

Wir alle wären froh, wenn diese Demonstration nicht notwendig wäre. Aber leider ist sie notwendig. Darum ist es gut, dass wir alle hier stehen. Darum sagen wir: Wir stehen auf für Menschlichkeit und Toleranz. Jeder steht hier für sich. Wir stehen hier aber auch gemeinsam für die große Mehrheit der Deutschen und aller, die in Deutschland leben. Ja, diese Demonstration ist ungewöhnlich. Es geht heute nicht um Forderungen einer bestimmten Gruppe an den Staat. Hier und heute demonstrieren Bürgerinnen und Bürger gemeinsam mit den Repräsentanten unseres Staates.

Wir wollen heute ein Zeichen setzen: Deutlich und unübersehbar. Ein Zeichen für uns selber, ein Zeichen für unser Land. Ein Zeichen aber auch für alle unsere Nachbarn und Freunde in der Welt, die sich wie wir - Sorgen machen über Hass und Gewalt gegen Fremde und Schwäche. Wir beklagen fast hundert Tote, die seit 1990 Opfer rechtsextremer Täter geworden sind. Wir trauern mit ihren Angehörigen, die fassungslos sind. Sie müssen jede Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Fast einhundert Tote. Sie wurden umgebracht, weil sie anders waren: Weil sie als Ausländer oder als Obdachlose als Freiwild angesehen wurden. Manche starben als zufällige Opfer hemmungsloser Lust am Quälen.

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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