Unter in Deutschland lebenden Juden ist die Identitätsfrage nach wie vor anhängig. Will man sich als "jüdischer Deutscher", "deutsche Jüdin" oder als "Juden in Deutschland" verstehen? Während "jüdischer Deutscher" nach wie vor an die gescheiterten Assimilationsversuche von Kaiserreich und Weimar erinnert, assoziiert man zu "deutsche Jüdin" gerne das so genannte kulturelle Symbioseprojekt, das Gerschom Scholem schon vor Jahren für gescheitert erklärte. "Juden in Deutschland" hingegen scheint sowohl der realen Lage als auch dem Selbstverständnis der hiesigen Juden am ehesten zu entsprechen. Von den etwa einer halben Million vor dem Krieg in Deutschland lebenden Juden hatten nach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland etwa 20 000 überlebt, weitere 250 000 meist polnische Juden waren von der SS aus den östlichen Konzentrationslagern nach Westen getrieben worden und wurden hier von den Allierten befreit. Die Wiedergründung der Gemeinden, die von wenigen überlebenden deutschen Juden und den in Deutschland hängen gebliebenen displaced persons oft genug nur technisch, als Gründung sog. "Liquidationsgemeinden" betrieben wurde, vermochte weder zu einem ungebrochenen Selbstverständnis noch gar zu einem gedeihlichen Sozialleben zu führen.
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.