Alle Wetter! Was für ein Aufstieg! Gestern noch belächelter "Regieren macht Spaß"-Kanzler, heute schon allseits geehrter Weltstaatsmann. Vor einem Jahr noch hätte kaum jemand einen Pfifferling auf Gerhard Schröder gegeben. Geschlagen mit dem Image des Grinsekanzlers, torkelte er politisch von einer Niederlage zur anderen, so daß sich bereits der notorische Hinfaller Rudolf Scharping als potentieller Nachfolger ins Gespräch bringen konnte. Nun scheint das tiefe Tal der Tränen endgültig durchschritten zu sein und der Kanzler einiges verstanden zu haben: Die Cohibas sind lange schon ins Hinterzimmer verschwunden und Gerhard Schröder ist das Lachen zwar nicht vergangen, doch es ist angestrengter geworden. In kurzen zwei Jahren hat der Kanzler einiges überstanden: einen Krieg, einen Finanzminister, und vor allem: sein eigenes Image, das von seiner stärksten Waffe zu seiner stärksten Belastung wurde. Schröder mußte erleben, wie schnell aus dem Macherprofil das Image des Talkshow-Schwätzers auf der GottschalkCouch werden kann. Nach desaströsem Anfang scheint es dem Instinktpolitiker Schröder jetzt gelungen zu sein, die Gunst des Kohl-Debakels durch eigene Tüchtigkeit zu nutzen. Holzmann, Greencard, Bundesrat, Ost-Tour, D 21-Initiative - seither eilte der Mann, zumindest symbolpolitisch, von Sieg zu Sieg.
In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.