Ausgabe Dezember 2001

Chilenische Impressionen

Wenn diese Zeilen im Druck erscheinen, wird die Abrißbirne dem Café El Biógrafo bereits den Garaus gemacht haben. Damit hört Santiagos politisch temperiertes Bohème-Herz zu schlagen auf. Chiles Kapitale wird erneut um einige Grade anständiger; oder, wenn man so will, langweiliger. Das vermerkt melancholisch nicht nur der Autor dieser Zeilen, der Santiago de Chile seit 1968 periodisch besucht, sondern zum Beispiel auch der chilenische Krimi-Autor Ramón Díaz Eterovic, dessen übermäßig Wodka trinkender Detektiv Heredia mit seinem Kater namens Simenon debattiert und das Verschwinden vertrauter Kneipen beklagt.

Díaz Eterovic, dessen Bösewichter bei diffusen Geheimdienst-Seilschaften aufund untertauchen, wird vom Diogenes-Verlag gerade in den deutschen Sprachraum eingeführt. Santiago de Chile war immer die Stadt der Cafés, der Kneipen, der Kaschemmen, in denen man bei gutem Wein stundenlang diskutierte, um nach Mitternacht rauschhaft der Poesie zu verfallen. Auch Manfred Max-Neef, Chiles alternativer Nobelpreisträger mit zeitweiligem Hauptquartier im El Biógrafo, trauert der Bohème-Vergangenheit nach, zwischen 1964 und 1973 kulturell zudem außerordentlich kreativ.

Sie haben etwa 10% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 90% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Chile: Leere Versprechen für die Indigenen?

von Malte Seiwerth

Am 1. Juni hielt der chilenische Präsident Gabriel Boric zum letzten Mal seine jährliche Rede vor den beiden Parlamentskammern des südamerikanischen Landes, eine Tradition, die seit 1833 gepflegt wird. Nach dreieinhalb Jahren im Amt wirkte seine Rede bereits wie ein Abschied.

Ecuador: Mit Mini-Trump zum Mafiastaat?

von Frank Braßel

Der klare Sieg von Daniel Noboa bei der ecuadorianischen Präsidentschaftswahl am 13. April war eine Überraschung: Mit knapp 56 Prozent der Stimmen landete der amtierende Präsident in der Stichwahl deutlich vor seiner Konkurrentin von der Partei des ehemaligen linkspopulistischen Präsidenten Rafael Correa.

Sheinbaum versus Trump: Glücksfall für Mexiko?

von Anne Haas

Ist es ein gutes Zeichen, heutzutage von US-Präsident Donald Trump gelobt zu werden? Diesen „Ritterschlag“ erhielten bisher nur männliche Rechtspopulisten wie Javier Milei, Nayib Bukele oder Jair Bolsonaro. Dass nun der als links geltenden mexikanischen Präsidentin Claudia Sheinbaum diese Ehre gleich mehrmals zuteilwurde, hat auch die internationale Presse bewegt.