Ausgabe Juli 2002

Feuilletonstadl

Zurzeit wird auf allen deutschen Bühnen ein und dasselbe Stück gegeben. Es heißt "Antisemitismus" und macht sich offenbar im Wahlkampf, im Feuilleton und in der Außenpolitik gleichermaßen gut. Der jüngste Fall "Schirrmacher gegen Walser" schaut auf den ersten Blick aus, als sei er in einer Diskurswerkstatt erdacht und nach allen Regeln der Kunst in Szene gesetzt worden. Da schickt der deutsche Schriftsteller, dessen bewährtes Erfolgsrezept der kalkulierte Tabubruch am rechten Rand ist, seinen jüngsten Schlüsselroman "Tod eines Kritikers " zum Vorabdruck an die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Just an das Organ, bei welcher der kaum verschlüsselte Kritiker vordem zu Hause war.

Der Feuilletonchef schreit: "Antisemitismus"! In der Tat spielt der Text mit den seit Richard Wagner "bewährten" Repertoireelementen des "Kulturjuden": Machtgier, Geldgier, Geilheit und recodiert sie "neutral" als Merkmale des Kulturbetriebs in den Massenmedien. Der Feuilleton-Chef lehnt den Roman in einem offenen Brief ab. Walser hat den Skandal, den er braucht, und die FAZ eine ebenso dringend benötigte resonanzträchtige Kampagne im Kampf um die Lufthoheit der Feuilletons. Eigentlich könnten alle zufrieden sein.

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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