Ausgabe Februar 2003

Identitätsstiftende Ausgrenzung

Ginge es nur um Fakten, so könnte man das Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Dezember 2002 getrost zu den Akten legen. Denn der praktische Fortschritt des Zuwanderungsgesetzes gegenüber dem Ausländergesetz lag ohnehin nur noch in eher homöopathischer Dosierung vor, nachdem der Bundesinnenminister es sich in den Kopf gesetzt hatte, die jahrelang gehegten Erwartungen an eine solche Novellierung ins Leere laufen zu lassen und stattdessen den bayerischen Innenminister mit vorauseilendem Gehorsam zu hofieren. Aber die Angelegenheit wies von Anfang an auch einen symbolischen Aspekt auf; und der rückte umso mehr in den Vordergrund, je weniger in der Sache selbst bewegt werden konnte.

Ein Ausländergesetz mag restriktiv oder großzügig sein; das ändert nichts daran, dass es einen Teil der im Lande lebenden Menschen dem Ausland zuschreibt. Im Grund ist es ein Substitut für eine aus unterschiedlichen Gründen durchlässig gewordene Territorialgrenze. Die von ihm gemeinten Menschen sind zwar anwesend, aber letztlich gehören sie hier nicht hin. Sie sind ein ins Land eingedrungener Vorposten fremder Mächte, für den man irgendwelche rechtliche Regelungen schaffen muss, um ihn einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Das bleibt ein Provisorium, so sehr man sich auch an der Frage vorbei drücken mag, wie es denn jemals wieder aus der Welt geschaffen werden soll.

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In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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