Ausgabe August 2005

Demokratie und Justiz in nationalstaatlicher und europäischer Perspektive

Zur Verteidigung der Verfassungsprinzipien des alten Europa (III)

Das bisherige Ergebnis, dass – allen landläufigen Missverständnissen zum Trotz – jede starke, vor allem die auf Volkssouveränität basierte Demokratie ohne rechtsstaatliche Gewaltenteilung nicht realisiert werden kann, erfordert eine Analyse des aktuellen Stellenwerts der Justiz im Gewaltenteilungssystem. Jede Veränderung ihrer Funktionsweise hat Rückwirkungen auf dieses System und damit auf die Bedingungen der Möglichkeit von Demokratie. Seit etwa einem Jahrhundert haben Besonderheiten der faktischen Entwicklung und konforme Prozesse der eindimensionalen Anpassung normativer Theorien zu einer Situation geführt, in der sogar Vertreter einschlägiger wissenschaftlicher Disziplinen um die Freiheit der richterlichen Entscheidung mehr besorgt sind als um die Verteidigung bürgerlicher Freiheit gegen willkürliche Justiz. Entsprechend wird gegenwärtig richterliche Unabhängigkeit weithin mit richterlicher Unabhängigkeit vom Gesetz verwechselt und letztere schließlich zum Kriterium gelungener Gewaltenteilung erklärt.

Eine Untersuchung der zugrunde liegenden Rechtsentwicklung seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist auf Veränderungen sowohl der Gesetzesstruktur als auch der Methoden der Rechts"anwendung" (bereits dieser Begriff ist heute geächtet) verwiesen.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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