"Herr Spiegel, jetzt reicht’s!!!" So beginnt einer der zahlreichen Briefe, die infolge der Dreikönigspredigt des Erzbischofs von Köln, Joachim Kardinal Meisner, beim Zentralrat der Juden eingegangen sind. Der Verfasser beklagt in seinem Brief ein unterstelltes "Wahrheits- und Wertungsmonopol", das "Ihnen nebst Anhängerschaft und Hintermännern" nicht zustünde, um dann – weitere antisemitische Stereotype wie das der Geldgier, der Rachsucht, der Zersetzung oder des Störenfrieds reproduzierend – philosophisch verbrämt die Massenvernichtung der europäischen Juden zu relativieren: "Die Proklamierung des Holocaust als das Absolute schlechthin ist vom gottgläubigen Standpunkt aus Blasphemie; nach Gesichtspunkten freischaffender Vernunft, zu der ich mich bekenne, ist sie eine Absage an Vernunft."
Kardinal Meisners Predigt
Meisners Predigt motivierte nicht nur diesen Briefschreiber dazu, antisemitische Ressentiments zu äußern. In den Wochen und Monaten nach Meisners Predigt gingen mehrere hundert Briefe, Faxe und E-Mails beim Zentralrat der Juden ein (die übrigens von ihren Verfassern oftmals auch in Kopie an das Kölner Erzbistum gesandt wurden), von denen nur ein sehr geringer Anteil nicht antisemitisch war. Über 90 Prozent der Zuschriften strotzten vor Beleidigungen, Denunziationen, Bevormundungen, paranoiden Wahnvorstellungen – und kamen zugleich in ausgesprochen christlichem Duktus daher.