Ausgabe Juli 2005

Die Zäsur von Potsdam

1945 als Ende einer völkerrechtlichen Epoche

Es ist immer wieder dieser Gedenktag des 8. Mai, der den Blick zurück zwingt auf historische Ereignisse, die man im kollektiven Gedächtnis bereits begraben wissen möchte und die viele auch mit ihren Ritualen im Grab konserviert und verstaut sehen wollen. Der Versuch ihrer endgültigen Historisierung, ihrer definitiven Archivierung und Entsorgung aus dem chaotischen Haushalt der so genannten Vergangenheitsbewältigung oder Gedenkkultur scheitert aber immer noch. Jedes Mal brechen die alten Definitionsfronten von "Niederlage" oder "Befreiung" wieder auf. Wir erleben die Aktualität dieser ungelösten Konfrontation in unserer Gesellschaft an dem beschämenden Gefeilsche um den Zwangsarbeiterfond, an dem Streit um die Gründung der Stiftung "Zentrum gegen Vertreibungen" durch den Bundesverband der Vertriebenen wie an der jüngsten Auseinandersetzung um das "ehrenvolle Gedenken" an alte Nationalsozialisten im Auswärtigen Amt und die jetzt mächtig anschwellenden "Opfer"-Gesänge der Familien-Literatur.

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Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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Wofür steht der 8. Mai 1945 in der deutschen Erinnerungskultur? Bereits zum 70. und zum 75. Jahrestags beschäftigten wir uns ausführlich mit dieser Frage. Ist dem jetzt, am 80. Jahrestag, etwas Neues hinzuzufügen?