Ausgabe März 2005

1945 und wir

Wie aus Tätern Opfer werden

Am 21. Januar verlassen die sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten bei der Schweigeminute "für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft" demonstrativ geschlossen den Plenarsaal. In der anschließenden, auf Antrag der NPD-Fraktion zustande gekommenen aktuellen Stunde zum 60. Jahrestag der Bombardierung von Dresden sprechen die NPD-Abgeordneten Holger Apfel und Jürgen Gansel offen vom "Bomben-Holocaust".

Dezidierter und kalkulierter ist in der Geschichte der Bundesrepublik die Verkehrung der Unterscheidung von Opfern und Tätern bis dahin noch nicht betrieben worden. Dabei stellt der Skandal von Dresden nur den vorläufigen Höhepunkt einer langen Geschichte der Schuldabwehr und Schuldverkehrung dar. Diese reicht bis zu den Anfängen der Bundesrepublik zurück – und erlebt in den vergangenen Jahren eine fatale Renaissance. Weit über das rechtsradikale Spektrum hinaus mehren sich die Anzeichen für einen Rückfall in die Deutungsmuster der 50er Jahre, in denen sich die Deutschen als Hitlers erste – und eigentliche – Opfer verstanden.1

"Wer sind denn wirklich die Kriegsverbrecher?" So fragte rhetorisch, im Oktober 1952, Bernhard Ramcke beim ersten Nachkriegstreffen der Waffen- SS in Verden an der Aller. Die Antwort des Fallschirmjäger-Generals a. D.

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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