Ausgabe November 2006

Österreich nach dem Schüsselismus

Es war schon kurz vor elf Uhr nachts, im Festzelt hing ein Dunst aus Freude und Schweiß, aus Zigarettenschwaden und euphorischer Entrücktheit, da trat Alfred Gusenbauer noch einmal auf die Bühne, umringt von allen, die Rang und Namen haben in der neuen und der alten Sozialdemokratie. „Heute ist ein Traum in Erfüllung gegangen“, rief der SPÖ-Parteichef in die Menge. „Die Arroganz wurde abgewählt“. Und so sangen die Genossen, was sie schon lange nicht gesungen haben: die „Internationale“. Gewiss, es gibt frischere Lieder. Aber die eine Zeile, die konnten Gusenbauer und die Seinen nicht oft genug hören an diesem Abend: „...wir sind die stärkste der Parteien!“

Damit, schließlich, war nicht zu rechnen gewesen an diesem 1. Oktober 2006. Alle Umfragen hatten Wolfgang Schüssels „Volkspartei“ (ÖVP) stabil vorne gesehen, der Regierungschef selbst glaubte sich mit einem personalisierten Wohlfühlwahlkampf („Weil er’s kann“; „Österreich bleibt besser“) locker ins Ziel bringen zu können. Für Alfred Gusenbauer an der Spitze der SPÖ dagegen war es das, was die Briten ein „uphill-battle“ nennen – ein aussichtsloser Kampf gegen Widrigkeiten aller Art.

Sie haben etwa 8% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 92% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema