Thomas Manns Buddenbrocks und die kapitalistische Moderne
Thomas Mann, seine Familie, sein Werk sind dabei, zu einem deutschen Kulturmythos zu werden. Warum das so ist und wie die mythopoetischen Instanzen heute funktionieren – von der Fachtagung bis zum kommerziellen Nachbau von Hans Castorps „Zauberberg“-Zigarre – ergäbe eine reizvolle kultursemiotische Studie, die letztlich aber bei einer bestimmten, schwer zu beantwortenden Rezeptionsfrage ankäme: Was in Thomas Manns Texten macht sie denn heute noch so aktuell?
Man hat sich das besonders auf den Jubiläumsveranstaltungen für „Buddenbrooks“ gefragt, als sich 2001 ihr Erscheinen zum hundertsten Male jährte. Natürlich gab es eine Reihe intelligenter Antworten, unter denen der Hinweis am ehesten einleuchtete, der Roman sei eben das Stammbuch des deutschen Bürgertums – es feiere darin den Abschied von sich selbst. Sicherlich gilt das für einige bürgerliche Primärtugenden wie die Zubereitung mehrgängiger Mahlzeiten (es gibt schon fünf Thomas-Mann-Kochbücher) oder die Gewissenszwänge in der täglichen Zeitbewirtschaftung. Es spricht aber wenig dafür, dass die zwischen 1835 und 1877 angesiedelte Lebenswelt der Buddenbrooks heute noch besonderen Wiedererkennungswert hätte. Vermutlich schließt sich der Leser viel effektiver an eine Sinnschicht an, die man als „sozialpsychologische“ verstehen könnte.