Einige Tage vor den Knesset-Wahlen besuchten uns Verwandte, langjährige treue Leser der Zeitung „Ha’aretz“. Sie Lehrerin im Ruhestand, er Techniker in leitender Stellung und gebildet. Beide waren in der linkssozialistisch-zionistischen Jugendbewegung Haschomer Hatzair („Der junge Wächter“) aufgewachsen, die als Hochburg der israelischen Linken gilt. Wir fragten sie, wen sie zu wählen beabsichtigten, worauf sie uns beide verdutzt anstarrten. „Livni natürlich, ihr nicht? Wollt ihr etwa Netanjahu?“ Betretenes Schweigen im Raum. „Habe ich euch richtig verstanden, ihr wählt Kadima?“, fragte ich weiter, ohne meine Verwunderung zu verbergen. Ich hatte in Erinnerung, dass sie stets die Linksbewegung Meretz gewählt hatten. „Ja, absolut“, versuchten mich die Gäste zu beruhigen, „wir wählen Livni für das Amt des Ministerpräsidenten und Meretz für die Knesset“. Es war nicht leicht, ihnen klar zu machen, dass bei den anstehenden Wahlen wie schon bei den vorangegangenen beiden Wahlgängen in den Jahren 2003 und 2006 nur die Knesset neu bestellt wird. Ministerpräsident wird somit, wer die Unterstützung von mindestens 61 Knesset-Angehörigen aus verschiedenen Parteien genießt.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.