Ausgabe September 2010

Maschmeyers Republik

Was isst ein Niedersachse? Natürlich Brötchen aus Niedersachsen. Wenn es sich aber dabei, wie soeben geschehen, um den Bundespräsidenten im Schloss Bellevue handelt, macht der Boulevard („Schmeckt ihm keine Berliner Schrippe?“) daraus prompt einen „Brötchen-Krieg“. Weniger amüsant war dagegen die zweite präsidiale „Home-Story“ im Sommerloch. Hatte uns der neue erste Mann im Staat nicht versprochen, seine Präsidentensuite zum Bürger- und Intellektuellentempel für den neuen Diskurs der Republik zu machen?

Die erste private Sommerreise mit der holden Frau Gemahlin führte ihn dann allerdings nicht etwa nach Griechenland, zwecks Erlernung demokratischer Manieren an der Wiege der Demokratie und, ganz nebenbei, des ganz realexistierenden europäischen Spardiktats, sondern nach Mallorca, in die Luxusabsteige seines Hannoveraner Duzfreundes Carsten Maschmeyer, des Gründers des privaten Finanz(ver)-dienstleisters AWD.

Nun gut: Wulff hatte natürlich bezahlt. Und dann auch noch 5000 Euro. Pro Woche. Also geschenkt, oder eben auch nicht. Interessieren wir uns also lieber einmal nicht für diese – zumindest – stilistische Verirrung, als vielmehr für den lieben Vermieter. Maschmeyer, angeblich eine halbe Milliarde schwer, dürfte es jedenfalls nicht auf die piefigen 5000 Euro angekommen sein. Vielleicht war es also eher eine Art kleiner Wiedergutmachung?

Erinnern wir uns: Als sich 1998 Gerhard Schröder anschickte, via Niedersachsen die Bundesrepublik zu erobern, war es besagter Carsten Maschmeyer, der Schröder den Weg ins Kanzleramt ebnete. Vor der entscheidenden Landtagswahl, die über die SPD-Kanzlerkandidatur entscheiden sollte, finanzierte er, natürlich anonym, in großen Tageszeitungen eine 650 000 DM teure Werbekampagne mit dem Slogan: „Der nächste Kanzler muss ein Niedersachse sein“.

Sein wahres Motiv verriet der Anonymus alsbald: „Mein Ziel war es, einen extremen Linksrutsch mit einem Kanzler Lafontaine zu verhindern.“ Kurzum: Erfolg auf ganzer Linie. Schröder wurde Kanzler, Lafontaine Gründer der Linkspartei. Und so ganz nebenbei sorgte der Kanzler aus Hannover für die Privatisierung der Rente und für gewaltige Rendite der AWD. Und ganz zufällig arbeitet Maschmeyer heute, nach lukrativem Verkauf von AWD (dessen Sprecher, was für ein Zufall, Ex-Regierungssprecher Bela Anda wurde), mit Schröders Rentenpapst Bert Rürup in der neu gegründeten Maschmeyer-Rürup-AG zusammen. 

Weniger angenehm war Maschmeyer dagegen schon damals der Unmut der CDU. Der kluge Mann baut schließlich vor. Prompt rief Maschmeyer nach der Niedersachsenwahl den unterlegenen Oppositionsführer Christian Wulff an und bat um Verständnis für seine Pro-Schröder-Anzeige: „Ich habe nichts gegen Sie. Im Gegenteil. Sie haben noch eine große Karriere vor sich.“ Was den ach so korrekten Christian Wulff prompt veranlasste, den einstigen Intimus Gerhard Schröders als Erbfreund aus dessen halbseidenem Hofstaat (von Scorpions-Sänger Klaus Meine über Milieu-Anwalt Götz von Fromberg bis Rotlicht-Rocker Frank Hanebuth) zu übernehmen. Nicht zu seinen Ungunsten, wie wir heute wissen. Denn alsbald zog auch bei Merkel die Devise: „Hauptsache ein Niedersachse“. Und seitdem sitzt Herr Wulff in Bellevue und isst seine Brötchen – in dieser unserer Maschmeyer-Republik.

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema Medien

Immer jünger, immer rechter: Teenager mit Baseballschlägern

von David Begrich

Ihre Haare sind kurz, gescheitelt und streng gekämmt. Sie zeigen den White Power- oder gar den Hitlergruß. Ist der Aufschwung der rechtsextremen Jugendszene wirklich etwas Neues – oder nur eine Fortsetzung neonazistischer Gewalt?

Maskulin und libertär

von Stefan Matern, Sascha Ruppert-Karakas

Echte Männer sind rechts“ – das auf Social Media viral gegangene Video des AfD-Politikers Maximilian Krah ist mehr als nur ein lapidares Bekenntnis zu traditionellen Familien- und Geschlechterrollen. Es ist vielmehr der strategische Versuch, junge Menschen niedrigschwellig an AfD-Positionen heranzuführen. Im provokanten Politainmentstil bespielt die Partei auf den digitalen Plattformen unpolitisch anmutende Themen rund um die Probleme und persönlichen Unsicherheiten junger Männer.