In NATO-Kreisen hat der Erfolg der Organisation beim Sturz des Gadhafi-Regimes in Libyen helle Begeisterung ausgelöst. Diese Reaktion demonstriert, wie heftig die NATO immer noch das Bedürfnis plagt, ihren Fortbestand zu rechtfertigen.
Der Sieg untermauert den Anspruch, den eine neue NATO-Doktrin erhebt: Das Bündnis trage Völkern und Bevölkerungsgruppen gegenüber, die von ihren eigenen tyrannischen Regimes bedroht sind, eine „Schutzverantwortung“. (Politisch-militärischen Spezialisten für bizarre Abkürzungen fiel zu dieser „responsibility to protect“ das Kürzel „R2P“ ein.) Gegenwärtig hat man dabei den Fall Syrien im Kopf, während zwei weitere Fälle, der Jemen und Bahrein, noch im Wartestand verbleiben. In beiden Fällen bedürfte die Bevölkerung dringend des Schutzes, doch gibt es hohe politische Hürden, da beide Länder von amerikanischen Protegés regiert werden.
Für NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen besteht diese neue Mission des Bündnisses darin, „jene aufzumuntern, die sich nach der Freiheit sehnen“, indem es sich (wenn möglich) ihrer „gerechten Sache“ annimmt. Mit der neuen NATO-Doktrin erhebt der Westen einmal mehr den Anspruch, er habe das moralische Recht (oder die moralische Pflicht) in aller Welt zu intervenieren, um Übelstände zu beheben.