Ausgabe Juli 2013

Stalin im Raum oder: Der Unerschreckbare

Dem großen Dichter und Citoyen Stefan Heym

Heute vor einhundert Jahren wurde in Chemnitz, als Sohn von Elsa und Daniel Flieg und im Schlafzimmer einer Wohnung am Kaiserplatz 13, Helmut Flieg geboren. Zwanzig Jahre später, 1933, um zwei Uhr nachts auf dem Hauptpostamt in Prag kam – gewissermaßen in einer Sturzgeburt – Stefan Heym zur Welt. Der Emigrant meldete seinen Verwandten die geglückte Flucht. Um die Adressaten nicht zu gefährden, durfte er als Absender nicht seinen wahren Namen angeben. Ohne lange zu überlegen und ohne an geistige Wahlverwandtschaften zu denken, schrieb er einen Namen als Absender auf die Postkarte, den er in den folgenden Jahrzehnten mit einem gewaltigen Lebenswerk in die Geschichte der Literatur, die Geschichte der Deutschen und Europäer, in die Geschichte der Kämpfe des zwanzigsten Jahrhunderts unlöschbar eintrug.

Es war das kleine Gedicht eines 18jährigen Gymnasiasten, das die Flucht des jungen Mannes erzwang, das einen Lebensweg vorherbestimmte, das eine entscheidende Weiche seines Lebens stellte und diesem Leben Richtung und Haltung gab. Der junge Flieg hatte am Frühstückstisch in der Zeitung die Notiz gelesen, dass deutsche Reichswehroffiziere als Instrukteure zur Kuomintang-Armee nach China entsandt werden. Drei Stunden später, während des Religionsunterrichts, schreibt er empört ein paar Verse zu dieser Meldung: „Wir exportieren! Wir exportieren! Wir machen Export in Offizieren! [...

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Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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