Ausgabe Mai 2017

Keiner oder alle

Wer sich von den Stereotypen der Nachrichten, von den leerlaufenden Talkshows befreien will, der lese – wieder – Heiner Müller. „Für alle reicht es nicht. Texte zum Kapitalismus“ sind die beste Einführung in sein großes Werk und zudem hoch aktuell.

Nachdem führende Medien die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 unerwartet nannten, ist es erhellend, was Müller bereits 1992 geschrieben hat. Angesichts der Verschärfung der Asylgesetze und der vielen über das Mittelmeer Fliehenden heißt es: „Auf der Tagesordnung steht der Krieg um Schwimmwesten und Plätze in den Rettungsbooten, von denen niemand weiß, wo sie noch landen können, außer an kannibalischen Küsten.“ Müller sah im Heute das Morgen. Doch sein Morgen ist unser Heute: „Die ehemaligen Kolonien rächten sich an den Metropolen, indem sie sie zu zersetzen begannen. Es entstanden Collagen mit Konflikten zwischen den einzelnen Teilen.“ Dass die Ausgegrenzten 2015 verstärkt in Mitteleuropa auftauchten, bewirkte die Rückkehr des Verdrängten.

„Mit der Frage, wie man diese Lage seinem Kind erklärt, ist jeder allein. Und vielleicht ist diese Einsamkeit eine Hoffnung.“ Schwer bleibt es, so Müller, im lärmenden Betrieb „die Wahrheit, leise und unerträglich“ zu sagen.

Sie haben etwa 14% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 86% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1.00€)
Digitalausgabe kaufen (10.00€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Mythos grüne Digitalisierung

von Ingo Dachwitz, Sven Hilbig

Der Klang der Zukunft ist ein leises, elektrisches Dröhnen, das in den Knochen vibriert. Hier im Rechenzentrum herrscht niemals Stille. Es ist erfüllt von einem monotonen Chor mechanischer Flüstertöne.