Ausgabe Januar 2020

Für eine lebendige Demokratie: Der Kampf um die Gemeinnützigkeit

Mann mit Transparent

Bild: imago images / snapshot

„Das Haus brennt – und Sie sperren die Feuerwehr aus!“, beklagt Esther Bejarano, Künstlerin, Auschwitz-Überlebende und Ehrenvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA). Die VVN-BdA steht für die Feuerwehr, das Feuer – oder besser die Brandstifter – sind Faschist*innen und Rechtspopulist*innen von AfD, Pegida und anderen rechtsradikalen Bewegungen. 

Im November 2019 verlor die 1947 gegründete VVN-BdA ihre Gemeinnützigkeit. Das Engagement von Überlebenden der Shoah und Antifaschist*innen wird damit nicht länger vom Staat gefördert. In einem offenen Brief forderte die 94jährige Bejarano daher Bundesfinanzminister Olaf Scholz auf, der VVN-BdA diesen Status zurückzugeben: „Haben diejenigen schon gewonnen, die die Geschichte unseres Landes verfälschen wollen, die sie umschreiben und überschreiben wollen? Die von Gedenkstätten als ‚Denkmal der Schande‘ sprechen und den NS-Staat und seine Mordmaschine als ‚Vogelschiss in deutscher Geschichte‘ bezeichnen?“

Verantwortlich für die Entscheidung ist das Finanzamt Berlin. Es löste damit einen öffentlichen Aufschrei aus und lenkte zugleich den Blick auf die prekäre Lage vieler gemeinnütziger Organisationen. Diese sind seit Beginn des vergangenen Jahres einer zunehmenden Unsicherheit ausgesetzt. Im Januar 2019 urteilte der Bundesfinanzhof als höchstes deutsches Finanzgericht, dass der globalisierungskritischen Bewegung Attac die Gemeinnützigkeit zu entziehen sei. Seitdem haben noch zwei weitere Organisationen diesen Status verloren: im Oktober die Bürgerbewegung Campact und im November das Demokratische Zentrum Ludwigsburg – Verein für politische und kulturelle Bildung (DemoZ).

Das zeigt: Das Nadelöhr der Gemeinnützigkeit wird hierzulande immer enger. Die jeweiligen Fälle sind zwar nicht direkt deckungsgleich: Während die Entscheidungen gegen Campact und DemoZ eine direkte Folge des Attac-Urteils sind, hat es die VVN-BdA getroffen, weil sie vom bayerischen Verfassungsschutz – anders als vom Bundesverfassungsschutz – als „linksextrem“ eingestuft wird. Allerdings finden diese Entscheidungen gleichzeitig in einem gesellschaftlichen Klima statt, das den Raum für Vereine, die sich für eine demokratische und vielfältige Gesellschaft einsetzen, schrumpfen lässt. Europaweit gibt es Einschränkungen durch Staaten und rechte Akteur*innen. Ungarn und Rumänien haben Gesetze gegen kritische NGOs erlassen. Und auch in der Bundesrepublik stehen politische Attacken auf zivilgesellschaftliche Akteur*innen inzwischen auf der Tagesordnung, zumeist ausgeführt von CDU, CSU und FDP, der AfD sowie der Autoindustrie.

Das rechte Webportal „PI News“ feierte das Urteil gegen Campact denn auch frenetisch und münzte es um in einen Triumph des eigenen Lagers. CDU und CSU hingegen richten ihre Angriffe derzeit vor allem gegen die Deutsche Umwelthilfe (DUH): Auf ihrem Parteitag im Dezember 2018 beschloss die CDU, deren Gemeinnützigkeit prüfen zu lassen. Eingebracht wurde der entsprechende Antrag vom CDU-Bezirksverband-Nordwürttemberg, dessen Ehrenvorsitzender Matthias Wissmann einst Chef des Verbandes der Autoindustrie war. Inzwischen sind regelmäßig Forderungen aus der CDU/CSU-Fraktion zu vernehmen, der DUH die staatlichen Fördergelder zu streichen. Auch die FDP beteiligt sich munter an derlei Angriffen.

Politik ist nicht gemeinnützig?

Dass die Folgen des Attac-Urteils die DUH indes nicht direkt betreffen und ihr auf dieser Grundlage die Gemeinnützigkeit auch nicht entzogen werden kann, macht diese Angriffe nicht weniger gefährlich. Sie belegen vor allem die Unkenntnis, die auf politischer Seite über die Schwächen des Gemeinnützigkeitsrechts besteht und offenbaren zugleich eine Haltung, die gemeinnützige Akteure in der reinen Wohlfahrtspflege verortet. Denn genau dafür wurde das Gemeinnützigkeitsrecht, die Abgabenordnung, vor über 100 Jahren geschaffen: um Vereine zu unterstützen, die der Gesellschaft bei der Gestaltung ihrer Freizeit, Kultur- und Brauchtumspflege helfen. Zuletzt wurde das Gemeinnützigkeitsrecht in den 1970er Jahren umfassend verändert. Dementsprechend soll die Abgabenordnung vor allem Amateurfunkern, Hundesport und Modellflug zugute kommen; Demokratie, soziale Gerechtigkeit oder Frieden finden hingegen keine Erwähnung in dem Gesetzestext.

Damit bildet die Abgabenordnung auch nicht ab, dass die Grenze zwischen der politischen und der gemeinnützigen Sphäre aufgrund des gesellschaftlichen Wandels deutlich verblasst ist: Längst ist die Politik – angesichts der nahenden Klimakrise – in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Verschiedenste Akteur*innen sind daher gezwungen, ihren Platz im Gemeinnützigkeitsrecht zu finden – etwa indem sie ihr Engagement dem Zweck der Volksbildung unterordnen. „Der Begriff der Volksbildung fungierte bislang als eine Art Auffangtatbestand, insbesondere weil ihm ein dynamisches Verständnis zugrunde gelegt wurde“, unterstreicht Anna Leisner-Egensperger, Steuerrechtsprofessorin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Steuerrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Eine Organisation musste sich nicht auf bestimmte Sachziele festlegen, sondern konnte diese der jeweiligen Entwicklung ihrer Kampagnen überlassen.“

Diesen Spielraum hat das Attac-Urteil nun massiv eingeschränkt, da der Bundesfinanzhof den Begriff der politischen Bildung in der Urteilsbegründung extrem eng fasst: Wer diesen Zweck verfolge, müsse sich auf „bildungspolitische Fragestellungen“ beschränken. Und weiter: „Wer politische Zwecke durch Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung verfolgt, erfüllt keinen gemeinnützigen Zweck.“ Seine Entscheidung begründet der Bundesfinanzhof damit, dass politische Bildung in „geistiger Offenheit“ erfolgen müsse. 

Was „geistige Offenheit“ indes bedeutet, erläutert das Gericht nicht. Damit aber gerinnt diese Formulierung zu einer Leerformel, die jedes Finanzamt selbst ausfüllen kann – und muss. Die Folgen lassen sich am Beispiel des Ludwigsburger DemoZ veranschaulichen: Deren Entzug der Gemeinnützigkeit begründete das Finanzamt unter anderem damit, dass das DemoZ im Jahr 2017 Veranstaltungen – etwa zu Themen wie „Kapitalismus – was ist das und was können wir dagegen tun?“ und eine „Einführung in die Idee des Anarchismus“ – anbot, in denen die Behördenmitarbeiter eine zu starke politische Positionierung erkannten.

Das Finanzamt folgt der Logik: Wer seine eigene Ansicht verbreitet, ist nicht gemeinnützig. Das aber verkennt den Ursprung gemeinnützigen Engagements: Die Arbeit jeder gemeinnützigen Organisation fußt auf einer bestimmten Auslegung des eigenen Förderzwecks, oder anders ausgedrückt: auf einer eigenen Vorstellung darüber, was die Gesellschaft benötigt. Nur mit einem solch politischen Anspruch kann auch echte Pluralität entstehen. Politische Bildung sollte demnach zwar überparteilich sein, aber keineswegs wertneutral.

Das Streben nach Rechtssicherheit

Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass sie hier Rechtssicherheit schaffen muss. Allerdings ist eine Richtung derzeit noch nicht klar erkennbar. So hat eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Auftrag des Bundesfinanzministeriums jüngst erste Reformideen erarbeitet, die im November vergangenen Jahres teilweise an die Öffentlichkeit drangen. Sie folgten der rechtlichen Auslegung des Bundesfinanzhofes und hätten den Druck auf gemeinnützige Akteur*innen zusätzlich erhöht und deren politisches Engagement zurückgedrängt. Zudem wurde die Idee einer neuen politischen Körperschaft außerhalb der Gemeinnützigkeit präsentiert. Vereine, die sich politisch betätigen wollen, hätten damit einen Sonderstatus erhalten.

In der Zivilgesellschaft stießen die Vorschläge auf scharfe Kritik. Die Befürchtung vieler Akteur*innen: Organisationen, die ihre Zwecke zu einem relevanten Teil politisch verfolgen, könnten künftig zu der Wahl gezwungen werden, ob sie politisch oder gemeinnützig agieren. Mehrere große Dachverbände wie der Deutsche Naturschutzring, der Deutsche Kulturrat und der Deutsche Olympische Sportbund veröffentlichten daraufhin die „Charta für Zivilgesellschaft und Demokratie”, in der sie betonen, dass gemeinnütziges Engagement immer auch politisch ist: „Wir betrachten unsere Anerkennung als gemeinnützige Organisationen auch dann als berechtigt, wenn wir unbequem sind und unsere Ziele nicht im Konsens mit Parteien und politischen Interessen liegen.“ 

Auch große deutsche Umweltverbände bekräftigten in einem gemeinsamen offenen Brief an Bundesfinanzminister Olaf Scholz, dass „die Beeinflussung der politischen Willensbildung und die Mitgestaltung der öffentlichen Meinung zu den wirkungsvollsten Methoden gemeinnütziger Organisationen zur Verfolgung ihrer Zwecke“ gehört. Der öffentliche Druck führte schließlich dazu, dass Scholz die geleakten Vorschläge wieder kassierte. 

Wir brauchen neue Vereinszwecke

Bislang ist noch nicht abzusehen, welche Reformen das Ministerium nun beabsichtigt. Fest steht nur: Eine Überarbeitung der Abgabenordnung ist unerlässlich, wenn die Bundesregierung das gesellschaftliche Engagement für die Demokratie fördern und die Werte des Grundgesetzes stärken will.

Um dieses Ziel zu erreichen, müsste sie die kritische Begleitung staatlicher Prozesse unter dem Zweck der „Volksbildung“, wozu auch politische Bildung gehört, ermöglichen. Darüber hinaus muss rechtlich festgelegt werden, dass „geistige Offenheit“ einer gemeinnützigen Organisation zwar parteipolitische Neutralität auferlegt, diese aber ihre eigenen Werte in Bezug auf die zu fördernden Zwecke vertreten darf. Zudem muss die Liste der erlaubten Vereinszwecke in der Abgabenordnung ergänzt werden. Hinzukommen sollte etwa die Förderung des Friedens, des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung, der Gleichberechtigung der Geschlechter, der sozialen Gerechtigkeit, der Demokratie, der zivilgesellschaftlichen Teilhabe am Staatswesen und der Gesellschaft sowie – nicht zuletzt – der nationalen und internationalen Durchsetzung von Grund- und Menschenrechten.

Schließlich sollte die Abgabenordnung vorsehen, dass Organisationen ihre Zwecke auch ausschließlich durch politische Arbeit verfolgen dürfen. Die Beeinflussung der politischen Willensbildung und der Gestaltung der öffentlichen Meinung gehört – wie der Bundesfinanzhof in einem anderen Urteil aus dem Jahr 2017 zum BUND Hamburg feststellte – zu den wirkungsvollsten Methoden gemeinnütziger Organisationen, um selbstlos ihre Zwecke, in diesem Fall den Umweltschutz, zu fördern.

Politische Arbeit aus der Sphäre der Gemeinnützigkeit zu verbannen, stellte einen tiefen Eingriff in die Freiheit der Organisationen dar, selbst darüber zu bestimmen, auf welchem Wege sie am effektivsten ihre Zwecke fördern wollen. Das Bundesfinanzministerium wehrt sich bislang jedoch hartnäckig gegen eine Festlegung, wonach gemeinnützige Organisationen zur Erfüllung ihrer Satzungszwecke sich hauptsächlich politisch betätigen dürfen. Staatssekretär Wolfgang Schmidt warnte auf Twitter davor, dass „Parteienfinanzierungsvereine entstehen (wie die Super PACs in den USA), die die zu Recht strengen Vorgaben zur Parteienfinanzierung untergraben“.

Der Vergleich mit den Super PACs führt allerdings in die Irre. Denn diese betreiben in den Vereinigten Staaten Wahlkampffinanzierung unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit. Eine solche Gefahr besteht im Rahmen der Abgabenordnung jedoch nicht. Denn zum einen untersagt das Gesetz schon jetzt die mittelbare und unmittelbare Förderung politischer Parteien; zum anderen gibt es Vorschläge, wie die politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen sinnvoll zu definieren wäre: Laut Steuerrechtsprofessorin Leisner-Egensperger bestehen keine verfassungsrechtlichen Einwände, „solange eine Organisation keine Teilnahme an Wahlen anstrebt und soweit sie keine parteipolitischen Ziele verfolgt“.

Derzeit ist es einer gemeinnützigen Organisationen auch untersagt, sich zu anderen gemeinnützigen Zwecken als dem eigenen Satzungszweck zu engagieren. Das kann zu einer absurden Situation führen: Will ein Fußballverein zu einer Mahnwache gegen Antisemitismus aufrufen, darf er das laut Abgabenordnung derzeit nicht, wenn sein Förderzweck nur der Sport ist. Was er hingegen darf: Geld für die Mahnwache an eine andere gemeinnützige Organisation geben.

Die derzeitige Rechtslage entspricht also bei weitem nicht den Anforderungen einer lebendigen Demokratie. Deshalb muss die Bundesregierung endlich Rechtssicherheit schaffen. Die Einmischung in zentrale gesellschaftspolitische Debatten darf nicht von der Gnade – oder besser: Willkür – einzelner Finanzbeamter abhängig sein.

Dies gilt umso mehr, wirft man einen Blick auf jene Organisationen, die hierzulande ebenfalls steuerliche Vorteile genießen: Lobbyvereine, Wirtschaftsverbände wie der Bundesverband der deutschen Industrie oder die wirtschaftsnahe Stiftung Familienunternehmen. Sie alle nehmen tagtäglich Einfluss auf die Politik in diesem Land und werden dabei steuerlich gefördert. Und es würde ein politisches Ungleichgewicht schaffen, wenn Vereine wie Attac, Campact und die VVN-BdA in Vergleich zu diesen schlechter gestellt würden.

Ausgerechnet jenen Gruppierungen, die sich in heutiger Zeit für die Demokratie engagieren, dürfen nicht auch noch Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Bei Fridays for Future und „Unteilbar“ versammeln sich derzeit bundesweit Millionen von Menschen, die die Gesellschaft mit Blick auf eine lebenswerte und gerechte Zukunft verändern wollen. Eine Abgabenordnung, die die Räume für die Zivilgesellschaft erheblich verkleinert, ist eindeutig fehl am Platz. Demokratie lebt vom Mitmachen – und zwar nicht nur in den Parteien.

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