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Noch auf den letzten Metern dieser Legislaturperiode ist die Bundesregierung bemüht, sich auf ein Gesetz für mehr Klimaschutz im Verkehr zu einigen. Bis Juni muss sie die EU-Richtlinie „RED II“ – die Neufassung der Renewable Energy Directive – umsetzen, die Vorgaben zu erneuerbaren Energien im Verkehrssektor für das nächste Jahrzehnt macht. Schafft die große Koalition dies nicht, drohen einmal mehr Sanktionen aus Brüssel.
Global betrachtet ist der Verkehr einer der großen Treiber des Klimawandels, er verantwortet etwa ein Viertel der menschlichen Treibhausgasemissionen. In Deutschland stellt er eine politische Dauerbaustelle dar: Auf Bundesebene begnügt sich der Gesetzgeber seit Jahrzehnten damit, die Infrastruktur für automobilen Verkehr zu erhalten und auszuweiten; den globalen und inzwischen sogar nationalen Entwicklungen im Automobilsektor hinkt die Bundesregierung um etwa ein Jahrzehnt hinterher. Zwar sind im Jahr 2020 die Emissionen von Autos, Bussen, Flugzeugen und Bahnen deutlich gesunken. Sie lagen mit 146 Mio. Tonnen CO2 um 19 Mio. Tonnen niedriger als im Vorjahr und fielen damit unter die im Klimaschutzgesetz festgelegten 150 Mio. Tonnen Kohlendioxid. Doch der Rückgang ist allein der Corona-Pandemie samt Lockdown zu verdanken. Nur einen geringen Anteil hatte der Umstand, dass deutlich mehr Elektroautos zugelassen wurden. Das bedeutet: Zieht nach einem – hoffentlich baldigen – Ende der Pandemie die Konjunktur wieder an und werden die Mobilitätsbeschränkungen aufgehoben, wird auch der Verkehr wieder alle Klimaziele reißen. Nicht einmal die aktuellen Vorgaben des Klimaschutzgesetzes für 2021, nämlich der Ausstoß von höchstens 145 Mio. Tonnen CO2, hätte der Verkehrssektor im vergangenen Jahr geschafft, trotz monatelangen Stillstands.
Um für mehr Klimaschutz im Verkehr zu sorgen, werden derzeit – grob umrissen – drei Szenarien diskutiert. Im ersten bleibt das Mobilitätsverhalten weitgehend gleich; Benzin und Diesel werden mehr Agrar-Kraftstoffe beigemischt, erst später werden sie durch strom- und wasserstoffbasierte Kraftstoffe ersetzt. Das zweite Szenario setzt gleich zu Beginn vor allem auf Elektromobilität. Im dritten Szenario wird ein gänzlich neues Mobilitäts- und Konsumverhalten entworfen: Hier wird der bisherige Autoverkehr durch eine neue Städteplanung mit vernetztem Wohnen, Arbeits- und Freizeitverhalten, einem massiv geförderten, flexiblen und digitalisierten öffentlichen Verkehr sowie einem Ausbau des Fahrrad- und Fußverkehrs erheblich reduziert. Insgesamt legen in diesem Szenario Menschen und Waren viel weniger Strecke zurück als heute.
Weiter wie gehabt, nur vermeintlich »bio«
Die Erneuerbare-Energien-Richtlinie RED II bietet vor allem jenen Akteuren einen bedeutsamen Hebel, die den Klimaschutz im Verkehr im ersten Szenario verwirklicht sehen. Indem mehr Wind, Sonne und nachwachsende Rohstoffe im Tank landen, lässt sich der Status quo der (Auto-)Mobilität erhalten. Seit Monaten streiten Regierung, Umweltorganisationen und vor allem die betroffenen Wirtschaftsverbände um Beimischungsquoten für Biokraftstoffe; sie ringen darum, ob Elektrofahrzeuge in dem Gesetz bessergestellt werden als solche, die mit Kraftstoffen auf Grundlage von Raps, Palmöl, Roggen, Weizen oder Rüben fahren.
Dem massiven Lobbyeinsatz der Biokraftstoffbranche, der Landwirtschaftsverbände sowie der unionsgeführten Ministerien für Landwirtschaft und Verkehr ist es zu verdanken, dass das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) von seinem ursprünglichen, einigermaßen vorausschauenden Gesetzentwurf abgerückt ist. Dieser sah vor, Elektroautos gegenüber jenen mit Verbrennungsmotor zu bevorzugen – ganz gleich, mit welchem Kraftstoff diese betankt werden. Agrarkraftstoffe aus Ackerfrüchten wie Getreide, Zuckerrüben oder Ölpflanzen sollten relativ schnell auslaufen. Lediglich sogenannte fortschrittliche Kraftstoffe sollten gefördert werden: Sie bestehen aus Reststoffen wie beispielsweise Stroh oder Altholz, sind sogenannte E-Fuels, die aus Kohlendioxid und Wasser mit Hilfe von Strom erzeugt werden, oder aber Kraftstoffe auf Wasserstoffbasis.
Doch im aktuellen Entwurf misst das Ministerium den Kraftstoffen vom Acker, die den euphemistischen Namen „Bio-Kraftstoffe“ tragen, für einen längeren Zeitraum größere Bedeutung bei. In eine breitere Öffentlichkeit hat es die bisweilen technokratische Diskussion über Quotengrenzen und die Gefahren von Frittierfett als Beimischung im Diesel bisher nicht geschafft.
Dabei geht es um weit mehr als nur um einen Teilbereich der Verkehrspolitik. Denn der Gesetzgeber legt hier äußerst detailliert einen Pfad fest, auf dem sich der Ersatz fossiler Rohstoffe hin zu erneuerbaren Rohstoffen vollziehen wird. Postfossil und erneuerbar – das wird mit RED II deutlich –, muss nicht unbedingt ökologisch tragfähig bedeuten.
Nahrungsmittel als Kraftstoffe
Und gerade hier zeichnen sich die neuen Konfliktlinien ab, die sich um die dann äußerst knappen erneuerbaren Rohstoffe bilden werden. In Speyer etwa wollen der Chemiekonzern HCS Group und der Biokraftstoff-Produzent Gevor gemeinsam eine – im Vergleich mit Erdöl-Raffinerien – kleine Bioraffinerie errichten, die schon ab Ende 2024 verschiedene Chemikalien, insbesondere „nachhaltiges Flugbenzin“ produzieren soll. Um zunächst rund 60 000 Tonnen der verschiedenen Kohlenwasserstoffprodukte herzustellen, werden 90 000 Tonnen Ausgangsmaterial benötigt. Als Rohstoffbasis dienen der Raffinerie sowohl Getreide und Zuckerrüben als auch Reststoffe wie Stroh, Reisstroh sowie Abfälle aus der Forstwirtschaft und der Zuckerproduktion (Bagasse).[1] Um die Dimensionen zu verdeutlichen: Allein um die Hälfte der 90 000 Tonnen Biomasse aus Getreide zu decken, müsste die Raffinerie rein rechnerisch etwa 80 Prozent der rheinland-pfälzischen Roggenernte verarbeiten.[2] Damit wäre allerdings lediglich ein Bruchteil des jährlich benötigten Kerosins durch „nachhaltiges Flugbenzin“ ersetzt: Insgesamt verbrauchte die deutsche Luftfahrt im Jahr 2019 zwölf Mrd. Liter Kerosin, was in etwa 9,5 Mio. Tonnen entspricht.
Unter anderem die Deutsche Umwelthilfe (DUH) fordert daher immer wieder, sektorübergreifende Gesamtrechnungen aufzustellen, um die tatsächlichen Potentiale für Biomasse und biogene Reststoffe in all ihren Einsatzmöglichkeiten zu erheben. Eine Analyse über die Verfügbarkeit und Nutzungsoptionen biogener Reststoffe des Umweltbundesamtes kam 2019 beispielsweise zu dem Schluss, dass Restholz und Stroh nur einen Bruchteil der bislang verwendeten Energiemengen im Verkehrssektor ersetzen könnten – und am effizientesten im Wärmesektor zu verwenden sind.[3]
Als gäbe es alles im Überfluss
Doch solche umfassenden Betrachtungen spielen in den Debatten rund um RED II erstaunlicherweise kaum eine Rolle. Wer auf entsprechenden Tagungen den Chemie-, Agrar- und Kraftstofflobbyisten sowie den ihnen nahestehenden Forschungsinstituten lauscht, staunt über deren Vorträge: Demnach sind die Potentiale agrarischer Rohstoffe und Abfallstoffe schier unbegrenzt. Biodiversitätsverluste oder die Notwendigkeit einer nachhaltigeren Landnutzung kommen in ihren Berechnungen nicht vor. Stattdessen verweisen sie allzu gerne auf große Vorräte an Restholz im Wald, auf „Abfälle“ wie Stroh, auf landwirtschaftlich ungenutzte, wenig fruchtbare Flächen – Potentiale, die es noch zu heben gelte. Kurzum: Die Beteiligten argumentieren, als gäbe es nachwachsende Rohstoffe und Wasser in Hülle und Fülle und der jeweilige Sektor könne sich im Rest der Welt so viel davon bestellen, wie er eben braucht – ganz nach der schönen alten fossilen Devise „die Nachfrage bestimmt das Angebot“.
Doch in Bezug auf biogene Rohstoffe und Wasser ist dies eine Illusion. Denn aktuell bestimmen auch Diskussionen über eine nachhaltige Landnutzung die politische Agenda auf Ebene der EU und der Vereinten Nationen: Während die Biokraftstoffindustrie um Anteile am Kraftstoffverbrauch kämpft und die chemische Industrie Bioraffinerien plant, verhandelt die EU im Rahmen des Green Deal über eine Strategie zum Schutz der Biodiversität und eine weitere zur Reform der Landwirtschaft. Beide Vorhaben setzen darauf, Schutzzonen auszuweisen, Flüsse zu renaturieren und die ökologische Landwirtschaft zu fördern. Und während Kraftstoffe aus „biogenen Reststoffen“ wie Stroh die Bezeichnung „fortschrittlich“ verpasst bekommen, überlegen es sich Landwirte schon heute sehr genau, ob sie ihr Stroh verkaufen oder doch lieber auf den Äckern liegen lassen, um deren Humusschicht zu regenerieren. Höfe, die auf eine ökologische oder zumindest tierfreundlichere Nutztierhaltung umstellen, benötigen zudem deutlich größere Mengen an Stroh als konventionell wirtschaftende. Wenn es tatsächlich gewünscht ist, die Tierhaltung zu reformieren – diese Absicht formuliert mittlerweile ja sogar die Union –, dann werden die Landwirte künftig eher weniger als mehr Stroh für industrielle Zwecke bereitstellen können.
Hinzu kommt: Die kargen, für intensive landwirtschaftliche Produktion ungenutzten Böden sind auch global gesehen häufig die letzten Rückzugsgebiete für Biodiversität. Es ist also eher angezeigt, Konzepte für deren Erhalt zu entwickeln, anstatt auch sie noch als Rohstofflieferanten für eine industrielle Nutzung einzuberechnen.
Auf UN-Ebene steht mit der Neufassung des Umsetzungskatalogs der Biodiversitätskonvention Ähnliches auf der Agenda. Die internationale Klimapolitik kämpft etwa dafür, dass die verbliebenen Regenwälder im Amazonasgebiet, im Kongo oder in Indonesien nicht dem Holz- und Landhunger der Industriestaaten zum Opfer fallen, sondern stattdessen als Kohlenstoffsenke und Biodiversitätsreservoir erhalten bleiben. Allein in Deutschland, so schätzen Ökologen, müssen rund 15 Prozent der degradierten Ökosysteme – intensiv genutzte Ackerflächen, Auen, Moor- und Heidelandschaften – renaturiert werden, um die bereits bestehenden globalen und europäischen Biodiversitätsstrategien umzusetzen.[4] Mit Ertragssteigerungen ist all das nicht vereinbar, im Gegenteil.
Selbst das immer wieder hochgelobte Allheilmittel Wasserstoff wird die Bundesrepublik nicht unbegrenzt importieren können. Denn gerade in jenen Weltregionen, in denen die für dessen Erzeugung erforderliche Sonnenenergie im Überfluss vorhanden ist, mangelt es häufig an Wasser. Erst kürzlich mahnte etwa ein internationales Forscherteam grundsätzliche Reformen in Jordanien an, um die dort eskalierende Wasserkrise, die den Staat zu destabilisieren droht, in den Griff zu bekommen.[5]
Es ist daher dringend notwendig, den Debatten über eine deutsche und europäische Wasserstoffstrategie fundierte Forschungsergebnisse über die Folgen von Wasserentnahmen in trockenen Gebieten und eine Technikfolgenabschätzung von Meerwasserentsalzung in großem Maßstab zugrunde zu legen.
Für eine gerechte und nachhaltige Landnutzung
Aufschlussreich in der ganzen Debatte über nachhaltige Energiegewinnung ist überdies ein Seitenaspekt in der aktuellen Forstpolitik: Bei den Fördermaßnahmen zur Wiederaufforstung der von dramatischem Waldsterben betroffenen Gebiete spielen die Anforderungen künftiger industrieller Nutzungen keinerlei Rolle. Doch wenn die Bäume, die von den Waldbesitzern jetzt mit Milliarden an Fördergeldern gepflanzt werden, erntereif sind, dann müssten China, die USA und Europa längst klimaneutral sein und auf die Nutzung fossiler Rohstoffe verzichten – sofern ihre politischen Absichtserklärungen bis 2050 tatsächlich als konkrete Pläne zu verstehen sind.
Dann aber wären Holzbestandteile wie Lignin und Cellulose wichtige Industrierohstoffe, auf denen ganze Nutzungsketten aufbauen. Es ist daher erstaunlich, dass das Bundesforschungsministerium nicht längst Gesprächsrunden zwischen der Biotechnologie-Branche und Waldbesitzern bzw. Förstern organisiert, um zu klären, welche Baumarten im nachhaltigen Forst der Zukunft bereitstehen könnten. Hier zeigt sich einmal mehr, dass die Regierungsparteien noch lange nicht begriffen haben, wie nah sie bereits einer Zeit gekommen sind, die sie derzeit noch für weit entfernt erachten.
Wenn wir die Transformation in die postfossile Gesellschaft nutzen wollen, um künftig innerhalb der planetaren Grenzen zu leben und zu wirtschaften, dann müssen wir die jeweils getrennten Diskurse über „erneuerbare Rohstoffe“ und den „Erhalt der Biodiversität“ zusammenführen und zugleich über eine nachhaltige wie global gerechte Landnutzung sprechen. Diesen Dialog zu führen, wird eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Bundesregierung sein. Sie muss auch klären, wie es möglich sein soll, die derzeitigen Konsum- und Produktionsweisen einfach fortzuführen und lediglich die Rohstoffbasis auszutauschen – wie sich das offenbar viele Politiker und Wirtschaftsvertreter noch immer vorstellen. Eine weitere Legislaturperiode mit Gesetzen wie mit RED II zu verschwenden, dazu lassen jedoch weder der Verlust der Artenvielfalt noch der Klimawandel genug Zeit.
[1] Auskunft der HSC-Group per E-Mail vom 25.3.2015.
[2] Vgl. Pascal Kremer, Ernte 2020: Drittes Trockenjahr in Folge – Leicht unterdurchschnittliche Getreideernte, in: „Statistische Monatshefte Rheinland-Pfalz“, 1/2021, S. 29-42, www.statistik.rlp.de.
[3] Horst Fehrenbach, Jürgen Giegrich und Susanne Köppen, Umweltbundesamt, BioRest: Verfügbarkeit und Nutzungsoptionen biogener Abfall- und Reststoffe im Energiesystem (Strom-, Wärme- und Verkehrssektor). Abschlussbericht, www.umweltbundesamt.de, 24.9.2019.
[4] Johannes Kollmann et al., Aktuelle Schwerpunkte und Aufgaben der Renaturierungsökologie, in: „Natur und Landschaft“, 4/2021, S. 174.
[5] Jordaniens eskalierende Wasserkrise als Warnung für die Welt, www.ufz.de, 31.3.2021.