
Bild: Eine Frau stellt in einer Textilfabrik in der Industriezone von Gazipur am Stadtrand von Dhaka Kleidung her, 12.8.2021 (IMAGO / Pacific Press Agency)
Kurz vor dem Ende der Legislatur hat der Bundestag einen wichtigen Schritt auf dem Weg hin zu mehr menschenrechtlicher Verantwortung von Unternehmen für ihre globalen Wertschöpfungsprozesse vollzogen. Nach langem Ringen verabschiedeten die Parlamentarier am 11. Juni das „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, kurz: Lieferkettengesetz. Ab 2023 tritt es in Kraft und verpflichtet alle in Deutschland ansässigen oder tätigen Unternehmen ab einer Größe von 3000 Angestellten (von 2024 an sogar ab 1000) umfassend, international anerkannte Menschen-, Arbeits- und Umweltrechte entlang der Lieferkette zu achten.
Das bedeutet: Die Unternehmen sollen ihren eigenen Geschäftsbereich sowie direkte Zulieferbetriebe auf menschenrechtliche Risiken hin untersuchen, auf erkannte Risiken in angemessener Weise durch Präventions- oder Abhilfemaßnahmen reagieren und dies in einer Grundsatzerklärung festhalten. Dieser Prozess der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfalt muss kontinuierlich, jedenfalls jährlich stattfinden. Sofern Unternehmen konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass auch in den weiteren Gliedern ihrer Zulieferketten menschenrechtliche Risiken existieren und Rechtsverletzungen unmittelbar bevorstehen, weitet sich die Pflicht zur Risikoanalyse auch auf die weiteren Stufen der Lieferkette aus.
Trotz aller berechtigten Kritik von Entwicklungsorganisationen, Umweltverbänden und der „Initiative Lieferkettengesetz“, leitet das Gesetz damit einen Paradigmenwechsel ein.[1] Denn anders als vorherige Regelungen bricht es mit dem Prinzip der Freiwilligkeit und verpflichtet Unternehmen endlich dazu, menschenrechtliche Sorg-
falt walten zu lassen.
Von freiwilliger Verantwortung hin zu echten Verpflichtungen
Damit folgt das Lieferkettengesetz einem weltweiten Trend weg von der rein freiwilligen Verpflichtung von Unternehmen zur Einhaltung bestimmter Sozialstandards (corporate social responsibility) hin zu verbindlichen Regeln. Ausgangspunkt dieser Entwicklung ist die Verabschiedung der Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen durch den UN-Menschenrechtsrat im Jahr 2011 (UN-Leitprinzipien). In diesen Leitprinzipien wurde erstmals der Konsens der internationalen Staatengemeinschaft festgehalten, dass Unternehmen die Verantwortung haben, Menschenrechtsverletzungen in ihren globalen Wertschöpfungsprozessen zu verhindern. Auch wenn das noch keine völkerrechtliche Pflicht von Unternehmen begründete und viele zivilgesellschaftliche Akteure die Leitprinzipien berechtigterweise als zu schwach kritisierten, kann man retrospektiv festhalten, dass damit ein wesentlicher diskursiver Schritt vollzogen wurde: weg von freiwilliger Verantwortung hin zu echten „obligations“. Hinter diese Prinzipien kann seit 2011 kaum noch jemand zurückfallen. Gerade in der Debatte um das deutsche Lieferkettengesetz hat sich gezeigt, dass die UN-Leitprinzipien ausgesprochen ambitionierte und weitreichende Maßstäbe der unternehmerischen Verantwortung für Umwelt- und Menschenrechte in Produktionsprozessen definieren. Deshalb dienen sie auch als Referenz, um gesetzliche Regelungen an entscheidenden Stellen als zu kurzgreifend kritisieren zu können.
Daneben hatten auch die Katastrophen in den beiden Textilfabriken Ali Enterprises und Rana Plaza in den Jahren 2012 und 2013 wesentlichen Einfluss auf die weitere Debatte um die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen. Denn der Brand in der Fabrik von Ali Enterprises in Pakistan mit über 250 Toten und der Zusammensturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Bangladesch mit über 1200 Toten führten der Weltöffentlichkeit drastisch vor Augen, dass Menschen für unseren Konsum ihr Leben lassen müssen. Durch die wegweisende Klage pakistanischer Arbeiter*innen gegen den deutschen Textildiscounter KiK, der über fünf Jahre hinweg der Hauptgeschäftspartner der Fabrik war, rückte das Ausmaß der Ausbeutung in globalen Lieferketten noch näher. Während zweier Reisen nach Deutschland und Genf konnten die Kläger*innen, die ihre Kinder im Brand verloren hatten, der deutschen und internationalen Öffentlichkeit überzeugend darlegen, dass ihre Forderungen nach Wiedergutmachung und insbesondere nach einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen in globalen Zulieferketten berechtigt sind. Als die Klage der vier Pakistanis im Januar 2019 vom Landgericht Dortmund wegen Verjährung abgewiesen wurde, war die Meinung der Kommentatoren von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ bis zur „tageszeitung“ nahezu einhellig: Dieser Fall hat gezeigt, dass das deutsche Rechtssystem nicht angemessen auf ausbeuterische Verhältnisse in globalen Wertschöpfungsketten reagiert oder reagieren kann. Wenige Wochen später wurde ein erster Entwurf des Lieferkettengesetzes aus dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung geleakt. Damit war die Debatte über ein deutsches Lieferkettengesetz eröffnet.
Gesetz mit Schwachstellen
In Frankreich waren die Zivilgesellschaft und das Parlament deutlich schneller: Bereits 2017 verabschiedete die Nationalversammlung das Loi de Vigilance. Es verpflichtet Unternehmen zur Einhaltung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfalt in Bezug auf ausländische Tochterunternehmen und Zulieferbetriebe. Dieses Gesetz war das erste dieser Art weltweit, es etablierte explizit eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen und eröffnete Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen damit die bis dahin nicht existierende Möglichkeit, vor französischen Gerichten zu klagen.
Das französische Gesetz wie auch das deutsche Lieferkettengesetz unterscheiden sich damit deutlich von einer ersten Welle gesetzlicher Regulierungen der menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung. Die EU sowie einzelne europäische Staaten auf nationaler Ebene hatten bereits seit 2014 Gesetze erlassen, die zur Erstellung einer menschenrechtlichen Risikoanalyse und regelmäßigen Berichten sowie zu angemessenen Präventivmaßnahmen verpflichten. Meist beschränken sich diese Gesetze jedoch auf bestimmte Arten von Rechtsverletzungen wie etwa Menschenhandel (UK Modern Slavery Act von 2015) oder Kinderarbeit (Dutch Wet zorgplicht kinderarbeid von 2019) oder auf eine bestimmte Art von zu importierenden Produkten oder Waren (beispielsweise Holz und Mineralien aus bestimmten Konfliktregionen). Die meisten dieser Gesetze verpflichten Unternehmen jedoch nur dazu, über die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte zu berichten, nicht aber, die verursachten Schäden anzugehen und zu beheben. Betroffene Menschen können auch keine Klagen oder Beschwerden mit Verweis auf diese Gesetze einreichen, und ihre Anliegen sind in deren Umsetzung völlig irrelevant.
Wie das französische Loi de Vigilance behebt auch das deutsche Lieferkettengesetz viele dieser Einschränkungen. Dennoch weist es entscheidende Schwachstellen auf. Diese sind vor allem der Lobbymacht der Wirtschaftsverbände geschuldet, an deren Widerstand das Gesetz fast gescheitert wäre.
Problematisch und definitiv nicht im Einklang mit den UN-Leitprinzipien ist etwa, dass es konkreter Risikolagen bedarf, um die Sorgfaltspflichten bezüglich der gesamten Lieferkette auszulösen. Zudem haften Unternehmen nicht immer, wenn Menschenrechte in ihrem eigenen Geschäftsbereich oder bei einem direkten Zulieferbetrieb verletzt werden. Sie sind also keinen Erfolg im Sinne einer Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen schuldig, sondern nur verpflichtet, menschenrechtliche Sorgfalt walten zu lassen und alles zu tun, was möglich und angemessen ist, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern. Es kann also Situationen geben, in denen zwar Menschenrechte verletzt werden, das nach dem Lieferkettengesetz verpflichtete Unternehmen sich aber trotzdem keiner Pflichtverletzung schuldig macht, weil es belegen kann, dass es zuvor alle angemessenen Maßnahmen ergriffen hat.
Ein weiteres gravierendes Manko des Gesetzes ist, dass es explizit keine zivilrechtliche Haftung bei Verstößen vorsieht. Für die behördliche Durchsetzung ist allein das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zuständig. Es soll die von den Unternehmen abzugebende Grundsatzerklärung jährlich überprüfen, möglichen Pflichtverletzungen nachgehen und diese gegebenenfalls sanktionieren. Die Behörde wird hierzu mit einem robusten verwaltungsrechtlichen Instrumentarium ausgestattet: von der Befugnis, Anordnungen und Maßnahmen zu erlassen über die Befugnis, das Unternehmensgelände zu betreten und geschäftliche Unterlagen einzusehen bis hin zur Verpflichtung von Mitarbeitenden, Auskunft über Unternehmensinterna zu geben. Sofern ein Unternehmen gegen die Vorgaben des Gesetzes verstößt, kann das BAFA es mit Bußgeldern in einer Höhe von bis zu zwei Prozent des Jahresumsatzes oder dem Ausschluss aus der öffentlichen Beschaffung sanktionieren.
Auf den Druck der Zivilgesellschaft kommt es an
Ob das Lieferkettengesetz sich letztlich als Papiertiger erweist oder tatsächlich zur Verbesserung der Situation von Menschen beiträgt, deren Menschenrechte in globalen Produktionsprozessen verletzt werden, hängt wesentlich von dessen Umsetzung ab. Entscheidend wird sein, ob das BAFA die Einhaltung des Gesetzes durch die Unternehmen ernsthaft und fachlich kompetent überprüft und vor allem auch, ob es von den Ermittlungs- und Sanktionskompetenzen, die ihm zur Verfügung stehen, Gebrauch macht. Die problematische Rolle, die das BAFA und das Bundeswirtschaftsministerium bei der großzügigen Bewilligung von Waffenexporten in Krisenregionen einnimmt,[2] lässt daran zweifeln. Es wird also auch ganz entscheidend darauf ankommen, dass betroffene Menschen, Gewerkschaften und Menschenrechts- wie Entwicklungsorganisationen das Gesetz nutzen und die Arbeit des BAFA kritisch begleiten.
Obwohl das Lieferkettengesetz keine Klagen vor Zivilgerichten ermöglicht, gibt es doch Ansatzpunkte, die juristisch genutzt werden können. Denn das Gesetz wertet Berichte von Betroffenen, Gewerkschaften und NGOs über Missstände in Produktionsländern und Zulieferbetrieben der Unternehmen erheblich auf: Die Konzerne müssen fortan ein Beschwerdeverfahren einrichten, das es Betroffenen aber auch Organisationen ermöglicht, sie über potentielle oder tatsächliche Rechtsverletzungen zu informieren. Den in diesen Berichten geäußerten Vorwürfen müssen die Unternehmen nun nachgehen.
Zu Ermittlungen verpflichtet
Das Ignorieren der Beschwerden oder lapidare Verweise auf allgemeine Bekenntnisse zu den Menschenrechten, wie sie heute noch an der Tagesordnung sind, wenn man Konzerne mit menschenrechtlichen Risikolagen konfrontiert, sind nach dem Inkrafttreten des Gesetzes nicht mehr möglich, ohne dass diese das Risiko eines sanktionierbaren Gesetzesverstoßes eingehen. Darüber hinaus können Menschen, deren Rechte verletzt werden oder die eine Rechtsverletzung unmittelbar befürchten, dies auch direkt beim BAFA anzeigen. Das Bundesamt ist dann zu Ermittlungen verpflichtet. Sollte das BAFA dieser Verpflichtung nicht nachkommen, können die Betroffenen vor Verwaltungsgerichten gegen die Behörde klagen. Indirekt können Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen auf diese Weise also doch nach dem Lieferkettengesetz vor Gericht gebracht werden.
Gerade in den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes müssen diese Verfahrenswege von zivilgesellschaftlichen Akteuren klug genutzt werden. Denn in dieser Zeit wird es um die Auslegung des Gesetzes gehen, um die Klärung bestimmter Begriffe und die Frage, wie weit die Befugnisse des BAFA reichen und welche Auflagen es erteilen kann, mit denen die Unternehmen die Rechtsverletzungen wiedergutmachen müssen. Es wird eine Frage der Auslegung in der Rechtspraxis sein, wie schnell die Sorgfaltspflicht sich auf die gesamte Lieferkette erstreckt und was genau unter „angemessenen Abhilfemaßnahmen“ bei Rechtsverletzungen zu verstehen ist. In diese Auseinandersetzungen um die Auslegung und Anwendung des Gesetzes muss die Perspektive der Menschen einfließen, die unter den aktuellen globalen Produktionsmethoden leiden und deren Rechte auf würdige Arbeit, eine gesunde Umwelt, körperliche Integrität und einen angemessenen Lohn verletzt werden. Gerade die Beschwerde- und Rechtsverfahren können es ermöglichen, dass die Menschen, deren Lebens- und Arbeitsbedingungen das Gesetz verbessern soll, Teil der Auseinandersetzung darüber werden, wie ein menschen- und umweltgerechtes Wirtschaften künftig aussehen muss.
Nachdem das breite zivilgesellschaftliche Bündnis für ein Lieferkettengesetz gezeigt hat, dass es Politik in Deutschland beeinflussen kann, steht diesen Akteuren nun eine nicht weniger große Aufgabe bevor: Sie müssen nun transnational agieren, damit betroffene Menschen, Gewerkschaften und Partnerorganisationen aus den Produktionsländern dessen Umsetzung wesentlich mitgestalten können.
Daneben gibt es jedoch noch einen weiteren Weg, um die Schwächen des deutschen Gesetzes zu beheben – und dieser führt über Brüssel. Wenn von dort künftig stärkere Vorgaben kommen, könnte sich das Lieferkettengesetz am Ende doch noch zu einem scharfen Schwert entwickeln. Es lohnt sich daher, den Kampf für stärkere Regelungen zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Unternehmenspflichten auch auf europäischer Ebene zu führen.
[1] Vgl. zur Kritik: Armin Paasch, Radikal verwässert: Das neue Lieferkettengesetz, in: „Blätter“, 4/2021, S. 25-28.
[2] Dies hat der Gerichtsprozess gegen Heckler&Koch vor dem Landgericht Stuttgart wegen Waffenlieferungen in mexikanische Krisengebiete gezeigt.