Plädoyer für eine realistische Klimapolitik

Bild: Die Handlungskarte Klimaanpassung der Stadt Bochum. Mit ihrem Klimaprojekt »Baum-Rigolen« erprobt die Stadt Bochum, wie Vorsorge gegen Überschwemmungen und bei Hitze umgesetzt werden kann. Foto vom 13.8.2015 (IMAGO / Funke Foto Services / Ingo Otto)
Niemand kann genau wissen, welche Klimabedingungen am Ende des 21. Jahrhunderts herrschen werden, doch so viel ist klar: Wir werden in den kommenden Jahrzehnten von weiterer bedeutender Erderwärmung betroffen sein. Die Auswirkungen werden global sein und sie werden zwischen Ländern und innerhalb von Gesellschaften ungleich verteilt sein. Bisher konnten Gesellschaften die Kontinuität der natürlichen Lebensgrundlagen als gegeben voraussetzen, nur hin und wieder erschüttert durch vorübergehende Naturkatastrophen. Mit dem Klimawandel entsteht dagegen eine, wie es der Kulturwissenschaftler Martin Müller ausdrückt, „neue Unzuverlässigkeit der Natur“. Dies fordert die gesellschaftlichen Steuerungsmechanismen heraus, eine drastisch erhöhte Komplexität zu verarbeiten.
Doch bislang löst die Klimaveränderung nicht die erforderlichen sozialen Kräfte aus, welche die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen so verändern könnten, dass die notwendige Eingrenzung des Klimawandels möglich werden würde. Der Kampf gegen den Klimawandel scheitert an den Macht- und Anreizstrukturen des auf Gewinnerwirtschaftung, Konsum und unbegrenztes Wachstum geeichten Gesellschaftssystems – trotz des Wissens um die Gefahren zukünftiger Klimaveränderung. Dabei läuft die Zeit auch politisch davon, weil der Klimawandel sich dynamisch weiterentwickelt und damit immer schwieriger zu handhaben sein wird.
Das heißt nicht, dass nichts geschehen würde. Aber es reicht nicht. Es heißt auch nicht, dass es keine Besorgnis gäbe. Es gibt soziale Bewegungen von Klimaschützern, die mit teils spektakulären Aktionen auf die Misere aufmerksam machen. Auch Wissenschaftler und Medien warnen vielfach. Und in Meinungsumfragen sehen in vielen Ländern die allermeisten Menschen im Klimawandel ein großes oder sogar das größte Problem unserer Zeit. Dies gilt ebenso für viele Politiker. Und auch die Konzernlenker haben Familien, deren zukünftiges Leben ihnen vermutlich nicht gleichgültig ist. Doch diese Besorgnis stößt auf Strukturen, die machtvoller sind als Einsicht und Sorge. Investitionsentscheidungen werden unter Gesichtspunkten der Rentabilität getroffen, egal, welche Diskussionen morgens am Frühstückstisch der Manager stattfinden. Und selbst bei größtem individuellem Umweltbewusstsein kommen Menschen nicht gegen die Infrastrukturen an, die für ein Leben mit fossilen Brennstoffen errichtet wurden.
Nötig wäre eine Vollbremsung, die schnelle Reduzierung der verschiedenen Ressourcenbelastungen unter die planetaren Grenzen. Möglich wäre dies nur durch die Abkehr vom Wachstumsimperativ der Wirtschaft, durch politisch beschlossene und forcierte Maßnahmen zum Klimaschutz und durch die Umstellung auf Lebensformen, bei denen der exzessive Konsum seine vorherrschende Rolle verliert. Doch all dies geschieht nicht. Stattdessen steigt die Verbrennung fossiler Energieträger weiter, finden politische Entscheidungen ihre Grenzen an der kippenden Zustimmung der Wähler sowie den Renditeerwartungen privater Investoren und verteidigen Konsumenten ihre etablierten Lebensformen. Die Macht- und Anreizstrukturen der kapitalistischen Moderne blockieren eine angemessene Reaktion auf den Klimawandel, daher wäre Resignation eine durchaus nachvollziehbare Schlussfolgerung. Jedoch müssen Gesellschaften auf die Situation reagieren. Alles andere würde auf die Hinnahme eines zivilisatorischen Zusammenbruchs hinauslaufen. Wenn also nicht Resignation, was dann?
Routinierte Kapitalismuskritik
Der eine oder andere mag aus dem Gesagten die Forderung ableiten, den Kapitalismus selbst abzuschaffen. Denn wäre, so die Überlegung, das Gesellschaftssystem der kapitalistischen Moderne erst bezwungen, würde Raum für eine soziale Ordnung entstehen, die frei ist von Wachstumszwang und der Übernutzung natürlicher Ressourcen. Dies ist die Position von Verfechtern einer Postwachstumsgesellschaft. Auch ich bin der Auffassung, dass für ein Leben innerhalb der planetarischen Grenzen kein Weg an nachhaltigen Beschränkungen von wirtschaftlichem Wachstum und exzessivem Konsum vor allem in den hoch entwickelten Ländern vorbeiführt und dass solche Einschränkungen nicht mit den bestehenden Strukturen der kapitalistischen Moderne vereinbar sind.
Dennoch frage ich mich, ob hinter den eingängigen Forderungen nach einem radikalen Systemwechsel mehr steht als eine routinierte Attitüde. Denn sie lassen völlig offen, wie es Gesellschaften gelingen soll, sich angesichts der bestehenden Macht- und Anreizstrukturen in solche Postwachstumsgesellschaften zu verwandeln. Ebenso schweigen sie sich darüber aus, wie sich eine schrumpfende Wirtschaft mit gesellschaftlicher Stabilität verträgt. Solange die Systemwechsel-Forderung nicht als politikfähiges Programm ausbuchstabiert wird, ist sie nicht mehr als eine schöne Utopie, in die sich wohlwollende Leser kurzzeitig flüchten können. Darüber hinaus produzieren derartige Erlösungserzählungen zuverlässig neue Enttäuschungen, weil sich bald herausstellt, dass die in ihnen ausgeschmückten Veränderungen nicht – oder zumindest nicht in absehbarer Zeit – eintreten werden. In der akuten Sache des Klimawandels helfen sie jedenfalls nicht weiter. Zweifelsohne ist die kapitalistische Moderne auch nur eine geschichtliche Epoche, die wie alle historischen Formationen irgendwann enden wird. Doch wer heute mit wachem politischem Blick durch die Welt geht, sieht einen quicklebendigen Kapitalismus, der zwar hin und wieder durch Krisen erschüttert wird, aber offensichtlich imstande ist, sich chamäleonesk an veränderte Bedingungen anzupassen. Bestätigt wird dies auch durch die tatsächlich eingeschlagenen Wege zur Reduzierung des Treibhausgasausstoßes, die eher auf einen grünen Turbokapitalismus hindeuten als auf ein Ende dieses Wirtschaftssystems. Eine breit getragene antisystemische Protestbewegung, wie von Nancy Fraser[1] angemahnt, gibt es derzeit nicht.
Der Sturz der gesamten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wäre möglicherweise nicht einmal zielführend. Denn dieser würde ja nicht per Handschlag vereinbart werden und friedlich vonstattengehen, sondern sich im Rahmen politischer und wirtschaftlicher Kämpfe vollziehen, in deren Verlauf Klimapolitik vermutlich keine Priorität hätte. Solche fundamentalen sozialen Wandlungsprozesse erstrecken sich zudem über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte. Angesichts des unbarmherzigen Zeitplans, den uns der Klimawandel diktiert, kann man nur sagen: Wir haben schlicht nicht die Zeit, erst die bestehende Gesellschaftsordnung umzustoßen, dann eine neue zu errichten, um schließlich irgendwann einmal das Klimaproblem anzugehen.
Für mich folgt aus dem Gesagten die Aufgabe, realistische Ansatzpunkte für die Klimapolitik zu benennen, und zwar im klaren Bewusstsein, dass diese keinen gordischen Knoten durchschlagen werden und daher auch von weiterer Klimaerwärmung ausgegangen werden muss. Klimapolitik findet in einem Gefüge komplexer Verschachtelungen von Interessen und Strukturen, Lebensformen und Überzeugungen sowie Möglichkeiten und Alternativen statt, die sich als Dilemmata auf der ganzen Bandbreite vom Lokalen zum Globalen bemerkbar machen und teilweise enorm weite Zeithorizonte umfassen. Das ist der Grund, warum der Klimawandel mit hoher Ungewissheit hinsichtlich der weiteren Entwicklungen einhergeht und keine klaren Lösungen erwarten lässt, die auf einfache Weise umsetzbar wären und ihn damit aus der Welt schaffen würden. Zu erwarten sind allenfalls partielle Lösungen – und dass die Lösungswege sich im Lichte der Entwicklungen und Erfahrungen ständig verändern und grundsätzlich umstritten bleiben.
Auf einer allgemeinen Ebene kann es daher nur darum gehen, eine Perspektive zu entwickeln, deren Umsetzung politisch machbar ist und dabei helfen würde, Zeit zu gewinnen, damit sich Gesellschaften besser auf den Klimawandel einstellen können, die Defossilisierung der Energiegewinnung beschleunigt und das Wachstum der Ressourcennutzung reduziert werden kann. Es sei daran erinnert, dass der Klimawandel keine Entweder-oder-Angelegenheit ist, sondern eine des Mehr-oder-Weniger. Eine Verlangsamung des Klimawandels verschafft lediglich mehr Zeit, in der aber gesellschaftliche und technische Entwicklungen stattfinden könnten, die neue politische Optionen eröffnen.
Auch die absehbar dramatischer werdenden Erfahrungen mit den Folgen des Klimawandels selbst könnten dazu beitragen, die Handlungsbereitschaft bei Wirtschaft, Politik und Bürgerinnen und Bürgern zu erhöhen. Der Klimawandel ist längst da, er wird sich verstärken und eine große Dramatik entfalten.
Klimaanpassung und sozialer Stress
Ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur um 2,7 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau würde nach Meinung von Experten dazu führen, dass ein Drittel der Weltbevölkerung im 22. Jahrhundert in Gebieten leben müsste, die für den menschlichen Organismus eigentlich unbewohnbar sind. Klimaschutz ist schon allein deshalb eine epochale Aufgabe, weil ein ungebremster Klimawandel Folgen hätte, die so verheerend wären, dass sie sich nicht mehr durch Anpassungsmaßnahmen beherrschen ließen. Gleichzeitig müssen Gesellschaften aber verstärkt dazu übergehen, Anpassungen an die zu erwartenden veränderten klimatischen Bedingungen vorzunehmen. Wenn sich zunehmend Trockenheit ausbreitet, ist es erforderlich, Wassersysteme neu zu konzipieren, damit die Wasserversorgung von Haushalten, Industrie und Landwirtschaft gesichert ist. Prioritäten müssen gesetzt, derzeit praktizierte Formen der Landwirtschaft und des Tourismus müssen überdacht werden. Wenn die Temperaturen im Sommer auf über 40 Grad ansteigen, müssen Städte bewohnbar gehalten werden, beispielsweise durch Begrünung, Verschattung von öffentlichen Plätzen oder die Errichtung öffentlicher Räume zur Abkühlung. Und wenn der Meeresspiegel steigt, sind küstennahe Ortschaften zu schützen oder aber Entscheidungen zu ihrer Räumung zu treffen. Dies sind nur wenige Beispiele für notwendige und politisch zu beschließende Anpassungen an eine Welt, in der die Folgen des Klimawandels immer stärker in den Vordergrund rücken werden.
Klimaanpassung ist allerdings nicht bloß eine ingenieurwissenschaftliche Aufgabe. Auch gesellschaftliche und politische Ordnungen müssen resilienter werden gegen den sozialen Stress, der aus den veränderten klimatischen Bedingungen entsteht. Diese Frage erfährt aus meiner Sicht noch zu wenig Aufmerksamkeit, und die Sozialwissenschaften sind aufgefordert, hier ihren Beitrag zu leisten. Fakt ist: Je deutlicher die Folgen des Klimawandels spürbar werden, desto stärker kommen auch soziale und politische Ordnungen unter Druck, weil sich innergesellschaftliche und zwischenstaatliche Konflikte verschärfen. Diese Konflikte werden um die Nutzung des knapper werdenden Wassers, um die Art von Landwirtschaft und Bebauung sowie um die Extraktion von Ressourcen und um die Veränderung von Lebensweisen kreisen.
Für Naturkatastrophen gilt allgemein, dass ärmere Bevölkerungsgruppen weniger geschützt sind und größere Schäden erfahren als reichere. Das gilt auch in Bezug auf den Klimawandel. Die stärksten Schäden werden im Globalen Süden erwartet, das heißt in Ländern, die noch dazu die geringsten Mittel haben, um sich vor den Folgen zu schützen. Die Zunahme von Schäden durch den Klimawandel und die Notwendigkeit, mehr Ressourcen für Klimaschutz und Klimaanpassung aufwenden zu müssen, führen zu einer brisanten sozialen und politischen Lage. Denn verteilt werden in der Zukunft immer weniger Zugewinne und immer mehr Verluste. Das kratzt am Selbstverständnis und Zukunftsversprechen der kapitalistischen Moderne und befördert Polarisierungen und Konflikte. In dieser Situation eine inklusive Struktur sozialer Ordnung aufrechtzuerhalten, wird alle Aufmerksamkeit verlangen. Sonst droht ein Szenario, in dem eine Elite nach Wegen sucht, sich vom Rest der Menschheit abzuschotten, um sich grüne, eingezäunte Oasen des permanenten Wohlstands zu schaffen, während der Rest der Menschheit auf einem leidgeprüften Planeten leben muss, wie es der US-amerikanische Soziologe und Historiker Mike Davis vor einiger Zeit beschrieben hat.[2]
Ansatzpunkte für eine realistische Klimapolitik
Wie also ist soziale Ordnung unter Bedingungen einer unzuverlässiger werdenden Natur und der unvermeidlichen Umverteilung vorhandener Ressourcen möglich? Um diese Frage zu beantworten, möchte ich ein analytisches Modell nutzen, bei dem zwischen den Akteuren Wirtschaft, Politik und Bevölkerung (Bürger und Konsumenten) unterschieden wird. Alle Akteure handeln dabei zwar nach je eigenen Prinzipien, sie sind aber auch wechselseitig voneinander abhängig und nehmen aufeinander Einfluss. Daran schließt sich nun die These an, dass Maßnahmen zur Klimaanpassung und zum Klimaschutz nur dann eine realistische Chance auf Umsetzung haben, wenn ihre einzelnen Schritte so zugeschnitten werden, dass sie die jeweiligen Logiken der Handlungssphären und deren wechselseitige Einflusskanäle nutzen.
Schauen wir als Erstes auf die Ökonomie. Für Wirtschaftsunternehmen ist es gleichgültig, womit sie ihren Gewinn erzielen. Für Investitionen geben die veranschlagten Kosten und die zu erwartenden Erlöse den Ausschlag. Der Mechanismus der Veränderung wirtschaftlichen Handelns kann daher nur in der Umgestaltung von unternehmerischen Anreizstrukturen bestehen: sowohl durch finanzielle Anstöße als auch durch regulative Vorgaben. Die strukturelle Macht der Wirtschaft, also ihre Möglichkeit, Investitionen zu verlagern oder zu unterlassen, bringt es mit sich, dass für die Unternehmen „akzeptable“ Gewinnerwartungen bestehen bleiben müssen. Doch durch die Förderung klimaverträglicher Geschäftsmodelle, die konsequente finanzielle Belastung von Treibhausgasemissionen mittels Besteuerung und die regulative Beschränkung von Emissionen verändern sich Rentabilitätserwartungen. Natürlich werden die Platzhirsche im Markt gegen solche Veränderungen Widerstand leisten, um bestehende Pfade der Gewinnerwirtschaftung weiterführen zu können.
Daher kommt es auf die Schlagkraft politischer Macht an. Diese kann die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft so festlegen, dass sich die Dekarbonisierung beschleunigt. Der Handlungsspielraum der Politik hängt wiederum davon ab, ob für die Regierenden die Aussicht besteht, dass wirtschaftliche Prosperität, Steuereinnahmen und Loyalität der Bevölkerung erhalten bleiben. Bestehende politische Spielräume müssen genutzt werden, um Investitionen in den Klimaschutz und die Klimaanpassung zu lenken. Und Politiker müssen für den Klimaschutz Überzeugungsarbeit leisten. Das Rechtssystem kann dabei eine wichtige Rolle übernehmen, denn über dessen Bindewirkung können die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen einen größeren Stellenwert für die beiden Funktionssysteme Wirtschaft und Politik erlangen.
Zur Stärkung der politischen Durchsetzungsfähigkeit muss die politische Unterstützung für den Klimaschutz und für Maßnahmen der Klimaanpassung in der Bevölkerung wachsen, und zwar nicht nur in der abstrakten Form einer generellen Zustimmung in Meinungsumfragen, sondern auch dann, wenn Maßnahmen Belastungen und bedeutende Veränderungen mit sich bringen. Es ist ja offensichtlich, dass Klimaschutzmaßnahmen Ablehnung erfahren, wenn damit nennenswerte persönliche Einschränkungen verbunden sind. Forschungen zeigen, dass die Zustimmungsbereitschaft von Wählern bei Maßnahmen zur Klimaanpassung höher liegt als bei Maßnahmen zum Klimaschutz. Die Erklärung hierfür ist, dass erstere viel eher konkret als lebenspraktischer Gewinn erfahrbar sind. Die Errichtung von Anlagen zum Hochwasserschutz am eigenen Ort, die Ausstattung von Schulen mit einer Klimaanlage oder die Bepflanzung städtischer Plätze mit Bäumen sind konkret erlebte Verbesserungen des Schutzes vor den Folgen des Klimawandels. Anders sieht es häufig bei Maßnahmen aus, die dem Klimaschutz dienen sollen. Die Verpflichtung zum Einbau von Wärmepumpen oder die Erhöhung von Benzinpreisen führen zu Belastungen, deren Nutzen abstrakt bleibt. Mein Vorschlag wäre, sich stärker an ebenjenen als lebenspraktische Verbesserung erfahrbaren Maßnahmen der Klimaanpassung zu orientieren, auch in der Hoffnung, dass sich dadurch das Bewusstsein für die Bedeutung der Klimaproblematik bei den Menschen insgesamt erhöht und allmählich ein soziales Klima entsteht, das die Handlungsbereitschaft stärkt. Dies gilt vermutlich umso mehr, je mehr die Bevölkerung in die vor Ort umzusetzenden Maßnahmen eingebunden ist und deren konkreten Nutzen anerkennt. Das heißt natürlich nicht, dass Klimaschutz vernachlässigt werden darf.
Ein weiterer wichtiger Schritt besteht unzweifelhaft darin, die Belastungen sozial auszugleichen. Seien es CO2-Steuern oder Wärmepumpen: Die für die oberen zehn Prozent der Bevölkerung leicht zu schulternden zusätzlichen Belastungen überfordern Haushalte bis in die obere Mittelschicht hinein, zumal vor dem Hintergrund, dass die weitgehende Stagnation bei den Einkommen der letzten Jahrzehnte viele Menschen bereits in eine finanziell bedrängte Lage gebracht hat. Aus dadurch entstehenden Ängsten vor sozialer Deklassierung entwickelt sich politisches Ressentiment, das ebenjene politischen Mobilisierungen erleichtert, die Klimapolitik zu Fall bringen. Reduzieren ließe sich diese Gefahr, wenn einerseits vermieden würde, klimapolitische Maßnahmen mit einem Gestus der moralischen Überlegenheit zu kommunizieren, der mindestens gefühlt zu Abwertungen und dem Verlust an Anerkennung bei einem Teil der Bevölkerung führt. Andererseits müssten individuelle finanzielle Belastungen bis in die obere Mittelschicht aufgefangen werden, entweder indem die Aufwendungen ohnehin kollektiv – also aus öffentlichen Haushalten – bestritten werden oder, wo dies nicht möglich ist, individuelle Mehraufwendungen konsequent kollektiv kompensiert werden.
Kollektivgüter schaffen und schützen
Zudem fand in den letzten 40 Jahren in fast allen Ländern eine Verschiebung im Verhältnis zwischen Staat und Wirtschaft statt. Es setzte sich die Idee durch, dass der Staat sich zugunsten der freien Entfaltung von Märkten zurücknehmen solle, um der Maximierung gesellschaftlichen Wohlstands nicht im Weg zu stehen. Diese Doktrin hat die soziale Ungleichheit innerhalb von Staaten verschärft. Das Ausbluten öffentlicher Haushalte, vor allem auf der kommunalen Ebene, hat dabei auch zu einer Krise öffentlicher Infrastrukturen geführt – ganz unabhängig vom Klimawandel. Mit dem Klimawandel kommt eine riesige neue Aufgabe öffentlicher Daseinsvorsorge hinzu: Kollektivgüter zum Schutz vor Klimaerwärmung und für Anpassungsmaßnahmen an die Klimaveränderungen müssen eingerichtet und instandgehalten werden. In dieser Situation wird schmerzhaft bewusst, wie fehlgeleitet die einseitig auf den Markt setzende Politik der letzten Jahrzehnte war. Für den Erhalt des Gemeinschaftsgutes Klima müssen öffentliche Mittel in drastisch erweitertem Umfang mobilisiert werden. Auch muss der Spielraum für staatliche Investitionen erhöht werden, um „grüne“ Infrastrukturen schaffen zu können. Hierfür bedarf es der Ausweitung des fiskalischen Handlungsspielraums des Staates durch höhere zweckgerichtete Staatsverschuldung, differenzierte Zinssätze und die Erhöhung des Steueraufkommens. Die notwendige Steigerung in der Erstellung dieser Kollektivgüter verlangt eine Fiskal- und Geldpolitik, die sich vom Dogma der schwarzen Null löst, und braucht Steuererhöhungen bei dem wohlhabendsten Teil der Bevölkerung, der während der letzten Jahrzehnte seinen privaten Reichtum massiv steigern konnte. Eine solche Umkehr des wirtschaftspolitischen Dogmas stößt auf politische Widerstände all derer, die aufgrund ihres Reichtums sich zur Not auch privaten Ersatz für die fehlenden öffentlichen Güter verschaffen können. Doch möglicherweise lässt sich für die Erhöhung öffentlicher Ausgaben für die Erstellung dieser Kollektivgüter bei den anderen sozialen Gruppen politische Unterstützung mobilisieren.
Unterstützung muss Klimaschutzpolitik schließlich auch im Verhalten jedes Einzelnen finden. Doch auch hier geht es um kollektive Veränderungen, nicht um die Manipulation von Individuen oder um symbolische Ersatzhandlungen, wie den Kauf undurchsichtiger Kompensationszertifikate. Zu nennenswerten individuellen Verhaltensänderungen wird es erst kommen, wenn einerseits die entsprechenden öffentlichen Infrastrukturen ausgebaut werden, sodass umweltschonendes Handeln Unterstützung in den Alltagsstrukturen findet. Menschen werden öffentliche Nahverkehrsangebote vermehrt nutzen, wenn diese zuverlässig und bequem sind und häufig genug verkehren. Benötigt werden lebenspraktische Alternativen, für die sich politische Unterstützung mobilisieren lässt, weil sie konkrete Verbesserungen bei der Alltagsbewältigung in Aussicht stellen.
Orientierung am Gemeinwohl stärken
Andererseits braucht es eine Stärkung von gemeinwohlorientiertem Handeln. Klimaschutz scheitert, wenn das Handeln der Bürger allein dem Prinzip individueller Nutzenmaximierung folgt. In diesem Sinn bedarf es nicht nur klugen, sondern auch tugendhaften Handelns. Nichts beschreibt dies klarer als die in der ökonomischen Theorie beschriebene Kollektivgutproblematik, wonach die Schaffung von Gemeinschaftsgütern missglückt, weil die Einzelnen die Beteiligung an den diesbezüglich anfallenden Kosten verweigern. Erkennbar wird dieses Problem, wenn dem Klimaschutz mit der Begründung Unterstützung verweigert wird, dass der eigene Beitrag ohnehin keine Bedeutung habe. Was für den Einzelnen zutreffend ist, wird für die Welt zur Katastrophe, weil das Kollektivgut Klima zerstört wird. Dass derartiges Trittbrettfahren weit verbreitet ist, widerspricht der kulturell so einflussreichen Erzählung von der wohltuenden Wirkung, die die unsichtbare Hand des Marktes und das am Eigennutz orientierte Handeln angeblich entfalten.
Doch diese Erzählung hat ihre Grenzen. Es ist durchaus nicht so, dass Menschen sich grundsätzlich der Schaffung von Gemeinschaftsgütern verweigern. Die ökonomische Theorie verbreitet vielmehr ein verkürztes Bild des Handelns, denn Menschen machen sich vielfach auf der Grundlage von Wertüberzeugungen für andere und für gemeingutförderliche Regeln stark. Und sie setzen diese teilweise selbst dann um, wenn sie wissen, dass dies mit individuellen Kosten verbunden ist und es Trittbrettfahrer gibt. Menschen können das Richtige tun, auch wenn es individuelle Kosten mit sich bringt und der Erfolg unwahrscheinlich ist. Studien zeigen, dass Maßnahmen zur Klimaanpassung besonders dann Unterstützung finden, wenn sie als soziale Norm wahrgenommen werden, Menschen sie als zielführend erkennen und sie für sich selbst Möglichkeiten sehen, sich an ihnen zu beteiligen.
In Wirtschaft und Politik werden solidarische Handlungsweisen durch systemische Zwänge weitgehend unterbunden, und die Funktionsweise von Märkten sowie die Kultur des Individualismus der kapitalistischen Moderne verhalten sich parasitär bzw. zerstörerisch gegenüber diesen Ressourcen. Stärkung erfahren sie jedoch im Handeln außerhalb dieser Funktionssysteme: in den familiären Nahbeziehungen und in Freundschaften ohnehin, aber auch in der Sphäre zivilgesellschaftlichen Handelns. An diesen Orten sozialer Bindung und sozialen Austauschs entstehen und gedeihen moralische Handlungsressourcen. Die unterschiedlichen Klimabewegungen sind ein Beispiel hierfür, aber auch die unzähligen lokalen Initiativen, in denen Menschen sich aktiv für den Klima- und Umweltschutz einsetzen. Diese zivilgesellschaftlichen Ressourcen sind aber nicht einfach vorauszusetzen, sondern werden in Sozialisationsprozessen eingeübt. Sie gedeihen im Kontakt zu formalen und informellen Institutionen, die Wertüberzeugungen stützen und einen sittlichen Druck auf das Handeln von Individuen und Organisationen ausüben. Die moralischen Handlungsorientierungen sind für Wirtschaft und Politik durchaus relevant. Denn beide sind auf gesellschaftliche Legitimation angewiesen und können daher die Wertüberzeugungen der Bürgerinnen und Bürger nicht einfach ignorieren.
Mehr Klimaschutz im sozialen Nahbereich
Das führt zu der Frage, wie sich Wertorientierungen, die der Unterstützung von Klimaschutz in die Hände spielen, politisch stärken lassen. Der Ort der Entstehung moralischer Handlungsstrukturen sind die sozialen Beziehungsgeflechte im Gemeinwesen, in den Familien und den Freundschaften sowie im bürgerschaftlichen Engagement. Klimaschutzpolitik müsste daher gerade auf dem sozialen Nahbereich der demokratischen Zivilgesellschaft aufbauen. Dies würde eine viel stärkere Einbeziehung von Bürgern vor Ort in Entscheidungen zum Klimaschutz und bei Anpassungsmaßnahmen nahelegen und betont die Ebene lokaler Politik – obwohl der Klimawandel zweifelsohne ein globales Problem ist. Doch daraus folgt eben nicht, dass widerstandsfähige Überzeugungen, die politische Unterstützung für eine angemessene politische Reaktion auf den Klimawandel befördern könnten, aus den Verlautbarungen internationaler Klimakonferenzen entstünden. Viel eher entstehen sie aus Begegnungen, die sich im Handeln als Staatsbürger, Arbeitnehmer und Konsument ergeben und die auch Grundlage für soziale Bewegungen werden können, die Klimaschutzanliegen politisch gegenüber Staat und Wirtschaft vertreten. Wir beobachten das auch längst, sei es in lokalen Umweltschutzinitiativen zum Stopp des Kohleabbaus in Südafrika, sei es in lokalen Initiativen an der Ahr, in denen Bürger darum ringen, den Wiederaufbau der Region nach den Überflutungen im Sommer 2021 vorausschauend zu gestalten. In solchen sozialen Strukturen werden kulturelle Einstellungen zu umweltgerechtem Verhalten geformt. Das ist nicht deshalb wichtig, weil von diesen Initiativen politische Entscheidungen getroffen würden, sondern weil hier klimaorientierte Haltungen entstehen, an denen Wirtschaft und Politik nicht völlig vorbeischauen können und die auch andere Ebenen politischen Handelns beeinflussen.
Wenn überhaupt, ist die Bereitschaft zur Unterstützung von Maßnahmen gegen die Übernutzung natürlicher Ressourcen nur unter Beteiligung der Zivilgesellschaft zu erreichen, also „von unten“, und nicht „von oben“. Für die Durchführung, Finanzierung und Koordinierung klimapolitischer Maßnahmen bedarf es selbstredend der gesetzgeberischen Macht der Politik, allein: diese benötigt Unterstützung in den Einstellungen und Handlungsorientierungen der Bürger.
Natürlich kann das Wachsen solcher Einstellungen auch politisch unterstützt werden, etwa durch die Förderung beispielhafter Projekte, die als Lernorte wirken. In solchen Projekten sammeln die Menschen womöglich Erfahrungen, die im politischen Raum geteilt werden können. Wenn sie zu funktionierenden materiellen Infrastrukturen ausgebaut werden, können sich unter den veränderten Rahmenbedingungen neue Routinen umweltverträglichen Handelns ausbilden. Zu solchen Infrastrukturen gehören auch positiv besetzte Zukunftsbilder einer an die Erhaltensbedingungen der natürlichen Umwelt angepassten Gesellschaft. Wie sieht eine solche Gesellschaft aus? Wie lebt es sich darin? Welche Gewinne an Lebensqualität entstehen? Hier spielen Vorstellungen einer Postwachstumsgesellschaft durchaus eine wichtige Rolle, weil sie die bestehenden, als selbstverständlich wahrgenommenen Lebensformen mit möglichen Alternativen konfrontieren. Die Orientierung an Zukunftsbildern, die zugleich in Teilen bereits ausprobiert werden können und so neue Erfahrungen ermöglichen, könnte eine Motivationsquelle für die politische Unterstützung von Veränderungen und den Aufbau zivilgesellschaftlichen Drucks gegenüber Wirtschaft und Staat sein.
Ebenso gehört hierzu das öffentliche Betrauern von mit der Klimakrise einhergehenden Verlusten – sei es der Verlust des eigenen Hauses durch Überschwemmung oder einen Waldbrand, der Verlust der Lebensgrundlage weit entfernt lebender Menschen aufgrund des Schmelzens von arktischem Eis oder der Erhöhung des Meeresspiegels. Und auch die Tatsache, dass bisher gepflegte und als wertvoll erachtete Lebensformen sich schlicht so nicht werden fortsetzen lassen. Wenn dieser Gram in der Sphäre der Öffentlichkeit Ausdruck und Gehör findet, kann dies möglicherweise die Bereitschaft auch zu zugreifenden Entscheidungen fördern.
Staatliche Politik und unternehmerisches Handeln werden zwar auch weiterhin ihren systemischen Logiken folgen und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nur dann Raum geben, wenn dies mit den Prinzipien des Profits und der Macht kompatibel ist. Vielleicht aber können die Parameter dieser Logiken durch das Handeln der Bürger zumindest ein wenig verschoben werden. Das wäre keine Kleinigkeit, auch wenn das nicht zu einer hinreichenden Reaktion auf den Klimawandel führen wird. Aber die Folgen des Klimawandels könnten zumindest ein wenig abgefedert werden, und ein gesellschaftlicher Umbau, der dazu beiträgt, den Anstieg der Temperaturen zu verlangsamen und Gesellschaften an die neuen klimatischen Bedingungen anzupassen, könnte besser in Gang kommen. Nichts davon ist einfach, nichts davon ist wahrscheinlich, denn all dies muss sich gegen Strukturen behaupten, die solchen Veränderungen massiv entgegenarbeiten. Doch schon die schwache Hoffnung auf Verzögerung und weitere Abmilderung des Klimawandels macht ein Engagement mit diesem Ziel folgerichtig und begründet auch eine moralische Pflicht dazu. Inwieweit dies tatsächlich gelingt, wird darüber entscheiden, wie unsere Kinder und Enkelkinder leben werden – und über uns urteilen.
Der Beitrag basiert auf „Verkaufte Zukunft – Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht“, dem jüngsten Buch des Autors, das soeben bei Suhrkamp erschienen ist. Dort finden sich auch die Quellenangaben.
[1] Vgl. Nancy Fraser, Kapitalismus als Kannibalismus, in: „Blätter“, 3/2023, S. 91-101.
[2] Vgl. Mike Davis, Wer wird die Arche bauen? Das Gebot zur Utopie im Zeitalter der Katastrophen, in: „Blätter“, 2/2009, S. 41-59.