
Bild: Flaggen der COP 29 in Baku, 17.9.2024 (Jakub Porzycki / IMAGO / NurPhoto)
In wenigen Tagen kommt die Weltgemeinschaft in Baku zur 29. UN-Klimakonferenz zusammen. Zum Ende eines von Rekordtemperaturen, Hitzewellen, Überschwemmungen und Waldbränden geprägten Jahres soll in der Hauptstadt Aserbaidschans vom 11. bis zum 22. November über die Finanzarchitektur der internationalen Klimapolitik verhandelt werden. Das verspricht auf den ersten Blick weniger Dramatik als der Streit um den Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle, der vergangenes Jahr die Klimakonferenz in Dubai bestimmt hat, ist aber nicht minder wichtig. Denn den Ländern des Globalen Südens fehlen jedes Jahr Hunderte Milliarden US-Dollar für Investitionen in erneuerbare Energien und die Anpassung an die Folgen der Klimakrise.
Doch kurz vor Beginn des Gipfels gehen die Positionen an vielen Punkten noch weit auseinander – und ein Kompromiss ist nicht absehbar.
Konkret geht es in Baku um ein altes Versprechen der westlichen Industriestaaten, das 100-Milliarden-Dollar-Ziel.[1] Diese hatten 2009 zugesagt, ab 2020 jedes Jahr 100 Mrd. US-Dollar für die Länder des globalen Südens zu mobilisieren. Mit dem Geld sollen arme Länder, die durch ihren CO2-Ausstoß kaum zur Erderwärmung beigetragen haben, bei der Anpassung an die Klimakrise, aber auch bei der Minderung von Emissionen unterstützt werden.
Erreicht wurde dieses Ziel nach Schätzungen der OECD erst 2022, und nach 2025 fällt diese Zielvorgabe weg. In Aserbaidschan müssen sich die Staaten daher erneut auf die künftige Finanzierung der Klimahilfe einigen, die aber zumindest das bisherige Niveau nicht unterschreiten soll. Neben der benötigten Summe sei vor allem offen, welche Länder zu Zahlungen aufgefordert werden, sagt der Klimaexperte von Oxfam, Jan Kowalzig. Werden nur die alten Industrieländer wie die USA und Deutschland zur Kasse gebeten – oder auch neue Schwergewichte wie China und Indien sowie Golfstaaten wie Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate?
Die EU beharrt darauf, dass ein neues Finanzierungsziel nur erreicht werden könne, wenn sich alle Staaten mit hohen Treibhausgasemissionen und wirtschaftlichen Kapazitäten bemühen, womit vor allem China gemeint sein dürfte, das eine Beteiligung bisher jedoch ausschließt.[2] Auch die USA und Kanada sehen die Verantwortung für die Klimafinanzierung nicht mehr ausschließlich bei sich. Sogar auf die Nennung einer konkreten Summe für das Finanzierungsziel nach 2025 wollen sich bisher weder die EU noch die USA oder Kanada festlegen.
Die Gruppe der Like-Minded Developing Countries, zu der etwa China und Indien zählen, hingegen fordert, für den Zeitraum zwischen 2025 und 2030 jährlich mindestens eine Billion Dollar an Klimahilfen aufzubringen – und sieht die Verantwortung dafür ausschließlich bei den klassischen Industrieländern. Eine ähnliche Summe nennen die afrikanischen Länder sowie die Gruppe der arabischen Staaten.
Der Streit über die Einbeziehung neuer Geber gilt als einer der Knackpunkte des zweiwöchigen Gipfeltreffens. Dass eine Einigung nur schwer erzielt werden kann, liegt auch an der politischen und historischen Tragweite dieser Frage. Denn zur Debatte steht letztlich, wer für die Klimakrise verantwortlich ist – und damit auch für die Kosten zu deren Bewältigung aufkommen muss.[3]
Chinas Verantwortung
Auf den ersten Blick ist kaum nachvollziehbar, warum die Wirtschaftsmacht China oder die Golfstaaten, deren Reichtum vor allem auf dem Verkauf fossiler Brennstoffe beruht, nicht zur Kasse gebeten werden sollten. Um die Logik dieses Konflikts zu verstehen, braucht es den Blick zurück, nämlich ins Jahr 1992. Damals unterzeichneten zunächst 154 Staaten die UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), die bis heute eine der wichtigsten völkerrechtlichen Grundlagen für den globalen Klimaschutz bildet. Ein leitender Grundsatz des inzwischen von fast allen Staaten unterzeichneten Regelwerks ist das Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“.[4] Damit wurde erstmals eine gemeinsame Zuständigkeit aller Staaten für die Bewältigung des menschengemachten Klimawandels festgeschrieben. Allerdings wurde den Industrieländern – damals fast ausschließlich die OECD-Staaten, die bis dato durch die von ihnen ausgestoßenen Treibhausgase wie CO2 den Klimawandel hauptsächlich verursacht hatten –, eine größere Verantwortung zugesprochen. Dies gilt sowohl für die Minderung der Emissionen als auch für die finanzielle Unterstützung von Ländern des Globalen Südens bei der Bewältigung der Klimakrise.
Das Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ wurde seither in vielen Absichtserklärungen wiederholt und findet sich auch in Artikel 2 (2) des Klimaabkommens von Paris aus dem Jahr 2015, in dem sich die Staatengemeinschaft auf das 1,5-Grad-Ziel geeinigt hat. Damit wirkt aber auch die Aufteilung in Industrie- und Entwicklungsländer von vor 30 Jahren bis heute in den Verhandlungen zumindest implizit weiter fort. So weist China trotz seines enorm gestiegenen Wohlstands und industriellen Aufschwungs die Verantwortung für die Klimafinanzierung von sich, zum Ärger auch der traditionellen Geber wie Deutschland.
Die schematische Aufteilung in Industrie- und Entwicklungsländer war angesichts der Unterschiede innerhalb einzelner Ländergruppen schon immer nicht ganz trennscharf. Bis heute hat sie zwar zum allergrößten Teil ihre Gültigkeit behalten – Länder wie Burkina Faso, Kenia oder Afghanistan haben im weltweiten Vergleich kaum Emissionen verursacht und sind dennoch überproportional von den Folgen der Erderwärmung betroffen –, aber mit Blick auf China und die Golfstaaten lässt sie sich nicht mehr aufrechterhalten, abgeschwächt gilt dies auch für Indien. China etwa ist nicht nur absolut der weltweit größte Verursacher von Treibhausgasemissionen – was natürlich vor dem Hintergrund der enormen Bevölkerungszahl betrachtet werden muss –, sondern schließt auch beim jährlichen Pro-Kopf-Ausstoß weiter auf und hat inzwischen die 27 EU-Staaten überholt.[5] Auch Indiens Emissionskurve steigt seit den 1990er Jahren kontinuierlich. Mit Blick auf den Ausstoß von Treibhausgasen insgesamt hat das südasiatische Land inzwischen die EU überholt und nähert sich beim Pro-Kopf-Ausstoß an.[6]
Die Golfstaaten Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate oder Katar wiederum fallen insgesamt zwar weniger ins Gewicht, haben aber, gerechnet auf ihre geringe Einwohnerzahl, einen höheren Pro-Kopf-Ausstoß pro Jahr als die USA, die EU und auch China. Gerade angesichts der Tatsache, dass ihr Reichtum zum großen Teil auf der Ausbeutung von Öl und Gas beruht, lässt sich nur schwer begründen, warum sie für die Klimahilfen nicht stärker in die Pflicht genommen werden sollten.
Dagegen ließe sich einwenden, dass für eine Gesamtbetrachtung weniger die jährlichen als vielmehr die historisch akkumulierten Emissionen relevant sind. Doch auch dieses Bild ist weniger eindeutig als noch vor 30 Jahren. Zwar fällt Indien mit knapp 60 Mrd. Tonnen CO2 historisch betrachtet weniger ins Gewicht und liegt noch hinter der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien, aber China steht mit schätzungsweise 260 Mrd. Tonnen CO2 hinter den USA und der EU an dritter Stelle und holt weiter auf.[7]
Gefahr für die ärmsten Länder
Dennoch ist es den westlichen Industrieländern bisher nicht gelungen, die Staaten des Globalen Südens in dem Streit auf ihre Seite zu ziehen – vor allem, weil sie in Sachen Klimafinanzierung ihre Versprechen selbst immer wieder gebrochen haben. So sollten die 100 Mrd. Dollar bereits ab 2020 jährlich mobilisiert werden, erreicht wurde dies aber erst zwei Jahre später. In der Gesamtrechnung bis 2025 bleiben somit aller Voraussicht nach Gelder offen. Und angesichts der nicht nur in Deutschland angespannten Haushaltslage ist wohl kaum zu erwarten, dass die Staats- und Regierungschefs mit großen Finanzversprechen nach Baku reisen, um diese Lücke zu schließen. Im Gegenteil werden die öffentlichen Mittel wohl sinken. Aus Deutschland flossen bereits 2023 mit 5,7 Mrd. Euro knapp 700 Mio. Euro weniger Klimahilfen ins Ausland. Obendrein finden in den USA wenige Tage vor Beginn des Klimagipfels die Präsidentschaftswahlen statt. Ein Sieg Donald Trumps würde die Verhandlungen wohl erheblich erschweren.
Hinzu kommt Kritik am Zustandekommen der Summe, insbesondere wegen des großen Anteils von Darlehen. Laut einer Analyse von Oxfam wurden 2022 fast 70 Prozent der Klimafinanzierung aus öffentlichen Mitteln in Form von Krediten bereitgestellt. Die Entwicklungsorganisation schätzt deshalb, dass die tatsächlich erbrachte Unterstützungsleistung der Industrieländer bei lediglich 28 bis 35 Mrd. Dollar lag.[8] Verständlicherweise dringen deshalb etwa die afrikanischen Staaten auf strengere Kriterien und wollen zumindest verhindern, dass die Kredite zu marktüblichen Konditionen angerechnet werden.
All dies wird die Verhandlungen in Baku erschweren. UNFCCC-Generalsekretär Simon Stiell mahnte kürzlich bei einer Rede vor afrikanischen Umweltministern in Abidjan ein neues Klimafinanzierungsziel an, das auf den Bedürfnissen der Entwicklungsländer beruht.[9] Aber gerade die Interessen der ärmsten Länder könnten bei dem Streit über die Einbeziehung neuer Geber unter die Räder geraten. Eine Gefahr ist etwa, dass die westlichen Industriestaaten sich mit der von ihnen gewünschten Erweiterung der Geberbasis nicht durchsetzen, dafür aber ihrerseits keine großen Verpflichtungen eingehen.
Das Finanzsystem reformieren
Das wäre nicht nur ein weiterer Vertrauensbruch und eine schwere Last für zukünftige Verhandlungen, sondern für viele Länder des Globalen Südens hätte ein wenig ambitioniertes Ziel oder gar ein Scheitern des Gipfels in Aserbaidschan dramatische Folgen, wenn es darum geht, die Klimakrise zu bewältigen, die vielerorts bereits jetzt die Lebensgrundlagen ganzer Bevölkerungsgruppen zerstört. Denn ihr Finanzbedarf ist gewaltig. Schätzungen zufolge müssten eine Billion Dollar pro Jahr mobilisiert werden, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen – also eine Verzehnfachung des 100-Milliarden-Dollar-Ziels und in etwa die Summe, die die afrikanischen Delegierten festschreiben wollen.[10] Allein für die Anpassung an die Folgen der Klimakrise, also etwa den Bau von Dämmen oder die Einrichtung von Frühwarnsystemen, fehlen laut dem UN-Umweltprogramm Unep den Ländern des Globalen Südens jedes Jahr 194 bis 366 Mrd. Dollar.[11] Öffentliches Geld in Form von Zuschüssen oder Darlehen braucht es vor allem für die Anpassung. Denn anders als mit Investitionen in erneuerbare Energien lässt sich mit Dämmen oder Frühwarnsystemen nur schwer Geld verdienen.
So wichtig ein ambitioniertes Ziel in Baku angesichts solcher Zahlen ist, werfen sie zugleich ein Licht darauf, dass weitergehende Reformen im Finanzsystem notwendig sind. Oxfam-Experte Kowalzig etwa schätzt, dass selbst bei einer Erweiterung der Geberbasis um China oder die Golfstaaten lediglich zehn bis 20 Prozent mehr Geld erreichbar sind. An vorderster Stelle muss daher eine Lösung für die hohe Staatsverschuldung gefunden werden, die vor allem in vielen Ländern Afrikas, aber auch in Sri Lanka oder Laos einen kritischen Stand erreicht hat. Laut aktuellem Schuldenreport des Bündnisses erlassjahr.de fließen in 45 Staaten des Globalen Südens mehr als 15 Prozent der Staatseinnahmen in den ausländischen Schuldendienst – Geld, das auch dem Klimaschutz fehlt.[12]
Mit einem anderen Vorschlag sorgte zuletzt Brasilien international für Schlagzeilen. Im Rahmen des G20-Vorsitzes setzt sich die Regierung unter Präsident Luiz Inácio Lula da Silva für eine globale Mindestabgabe für Milliardäre ein. Eine solche Steuer, die auch von der deutschen Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) unterstützt wird, nicht aber von der Bundesregierung als ganze, könnte Schätzungen zufolge jährlich 250 Mrd. Dollar zusätzlich einbringen – das wäre immerhin ein Viertel der jährlich benötigten eine Billion Dollar.
[1] Climate Finance and the USD 100 billion goal, oecd.org.
[2] Vgl. VN-Klimakonferenz: EU fordert Anstrengungen, damit das 1,5 °C-Ziel in Reichweite bleibt, consilium.europa.eu, 14.10.2024.
[3] Auch die Bundesregierung forderte immer wieder, sogenannte nicht traditionelle Geber – damit dürfte vor allem auch China gemeint sein –, stärker in die Pflicht zu nehmen, zuletzt etwa vergangenes Jahr bei der Einrichtung des Fonds für Schäden und Verluste bei der Klimakonferenz in Dubai. Vgl. Weltklimakonferenz in Dubai einigt sich auf Regeln für neuen Fonds zum Umgang mit Klimaschäden, bmz.de, 30.11.2023.
[4] Vgl. Rahmenabkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, unfccc.int.
[5] Vgl. Joint Research Center, GHG Emissions of All World Countries, edgar.jrc.europa.eu, 2023.
[6] Hannah Ritchie, Pablo Rosado und Max Roser, CO2 and Greenhouse Gas Emissions, ourworldindata.org, 2023.
[7] Cumulative CO2 emissions, ourworldindata.org, 2023.
[8] Vgl. Wert der Klimafinanzierung bis zu 88 Milliarden Dollar weniger als angegeben, oxfam.de, 9.7.2024.
[9] Vgl. „Delivering on climate action will unlock a goldmine of human and economic benefits“: Simon Stiell at African Ministerial Conference on the Environment, unfccc.int, 5.9.2024.
[10] Vera Songwe u.a., Finance for climate action: scaling up investment for climate and development, lse.ac.uk, 8.11.2022.
[11] Vgl. Adaptation Gap Report 2023, unep.org, 2.11.2023.
[12] Vgl. Schuldenreport 2024, erlassjahr.de.