Ausgabe September 1997

Opferrenten - Offener Brief von 82 US-Senatoren an Bundeskanzler Kohl vom 1. August 1997 (Wortlaut)

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

wir, die unterzeichnenden Mitglieder des Senats der Vereinigten Staaten, wenden uns an Sie, um unsere tiefe Besorgnis zu bekunden über die anhaltende Weigerung der deutschen Regierung, den Tausenden alternder Holocaust-Überlebender in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion eine Rente zu zahlen, obwohl sogar ehemalige Angehörige der Waffen-SS und anderer militärischer Verbände der Nazis in den genannten Ländern und anderswo großzügige "Kriegsopferrenten" beziehen. Anders als die jüdischen Überlebenden des Holocaust, die im Westen leben, erhalten die in den ehemaligen kommunistischen Staaten - Überlebende der Ghettos und der Konzentrationslager - keine Pension.

Einige haben Anrecht auf eine einmalige Zahlung von ein paar hundert Dollar, andere bekommen nicht einmal dies. In scharfem Gegensatz hierzu steht die Tatsache, daß viele tausend Veteranen verschiedener bewaffneter Nazi-Verbände, die heute über die ganze Welt verteilt leben, Zusatzrenten beziehen können. Ihre Regierung hat unlängst bestätigt, daß mehr als 3000 Veteranen militärischer Nazi-Verbände oder deren Angehörige, die gegenwärtig in den Vereinigten Staaten leben, solche Renten erhalten. Das deutsche Recht gesteht selbst Nazi-Kriegsverbrechern innerhalb Deutschlands diese Leistungen zu. Konrad Adenauer, der erste Kanzler der nach dem Krieg entstandenen Bundesrepublik, hat anerkannt, daß Deutschland an seinem Verhalten gegenüber den jüdischen Überlebenden des Holocaust gemessen werden würde.

Wir erkennen in vollem Maße an, daß Deutschland in den vergangenen fünfzig Jahren Milliarden Dollar für Entschädigung und Wiedergutmachumg aufgebracht und sich auf vielfältige Weise - anders als so viele seiner Nachbarn - seiner Vergangenheit offen und aufrichtig gestellt hat. Gerade angesichts dieser bewunderswerten Bilanz und der Tatsache, daß Deutschland mittlerweile ein geschätzter Freund und Verbündeter der Vereinigten Staaten ist, finden wir es so bedrückend, daß Ihre Regierung dieser vergessenen Gruppe von Holocaust-Überlebenden bisher jede ernsthafte Wiedergutmachung verweigert. In allem Respekt bitten wir Sie dringend, sich dieser Angelegenheit schleunigst anzunehmen, damit diese Überlebenden der dunkelsten Stunden der Menschheit ihre letzten Jahre einigermaßen versorgt und in Würde verbringen können.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Christopher Dodd, gez. Kay Bailey Hutchison - und weitere 82 Mitglieder des Senats *)

*) der insgesamt 100 Mitglieder zählt. - D. Red.

 

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