Ausgabe Februar 2000

Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit

Gemeinsame Erklärung zu den Ergebnissen des Spitzengesprächs am 9. Januar 2000 (Wortlaut)

An das "Bündnis für Arbeit" knüpft sich seit Jahren immer wieder manche Hoffnung, mittlerweile jedoch begegnet die Öffentlichkeit der Veranstaltung, der Gerhard Schröder anfangs oberste Priorität beimaß, eher mit Skepsis (zur Entwicklung nach dem Regierungswechsel 1998 vgl. die Beiträge und Dokumente in den Heften 1, 2, 5 und 8/1999). Anfang Januar ist es dem Bundeskanzler gelungen, die Gefahr des beinahe endgültigen Scheiterns, welche mit dem Reizthema "Rente mit 60" verbunden wurde, abzuwenden und (wieder einmal) einen "Durchbruch" zu erzielen. Nachdem im Sommer 1999 die "Enttabuisierung" der Tarifpolitik erreicht wurde - auch sie sollte "endlich" Gegenstand der Bündnisgespräche sein -, einigten sich nun die Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern auf einen Kompromiß, der nicht zuletzt verhindern soll, daß die anstehenden Tarifauseinandersetzungen eskalieren (vgl. auch den Kommentar von Detlef Hensche in dieser Ausgabe). Wir dokumentieren die Erklärung im Wortlaut. - D. Red.

Die Teilnehmer am Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit haben sich heute unter Vorsitz von Bundeskanzler Gerhard Schröder zum fünften Spitzengespräch getroffen. Die Vertreter von Wirtschaft, Gewerkschaften und Bundesregierung erklären aus diesem Anlass:

Nachdem beim letzten Spitzengespräch eine Einigung über die zukünftigen Schwerpunkte des Bündnisses, die Perspektiven des Ausbildungskonsenses und die Förderung von Beschäftigungsmöglichkeiten gering qualifizierter Arbeitnehmer und Langzeitarbeitsloser erzielt werden konnte, ist die Aussprache über beschäftigungsfördernde Tarifpolitik fortgesetzt worden. Hierbei konnte folgende Einigung erzielt werden: Die positiven konjunkturellen Aussichten, die bereits erfolgten und weiter geplanten Entlastungen im Steuerbereich und in der Sozialversicherung sowie die stabile Preisentwicklung bieten der Tarifpolitik eine günstige Ausgangsposition, zu einer deutlichen und nachhaltigen Reduzierung der Arbeitslosigkeit in Deutschland beizutragen.

Die Bündnispartner haben über gesamtwirtschaftliche Rahmendaten zu Produktivität, Löhnen, Gewinnen und Preisstabilität diskutiert. Die am Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit Beteiligten empfehlen gestützt auf die fortgeltende Gemeinsame Erklärung von BDA und DGB vom 6. Juli 1999 - für die anstehende Tarifrunde 2000 eine beschäftigungsorientierte und längerfristige Tarifpolitik. Dabei wird der sich am Produktivitätszuwachs orientierende, zur Verfügung stehende Verteilungsspielraum vorrangig für beschäftigungswirksame Vereinbarungen genutzt. Die jeweils zuständigen Tarifparteien werden im Rahmen ihrer Verantwortung notwendige branchenbezogene Differenzierungen vereinbaren. In dem Zusammenhang werden Wege gefunden, ein beschäftigungswirksames vorzeitiges Ausscheiden langfristig Versicherter aus dem Erwerbsleben zu zumutbaren Bedingungen für die Betroffenen zu ermöglichen, ohne dass zusätzliche Belastungen für die Sozialversicherungen entstehen.

Die Tarifpartner werden differenzierte betriebs- und branchenbezogene Regelungen anstreben. Das schließt ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Berufsleben ebenso ein wie eine verstärkte Nutzung der Altersteilzeit.

Die Beteiligten am Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit wollen mit diesen Maßnahmen einen schnell wirksamen Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit schaffen. Sie gehen davon aus, dass eine hohe Wiederbesetzungsquote angestrebt und dabei eine wirtschaftliche Überlastung kleinerer und mittlerer Unternehmen ausgeschlossen wird. Die Einzelheiten dazu müssen und werden in Tarifverhandlungen zu klären sein.

Die Bundesregierung wird ihrerseits rechtzeitig die zusätzlichen gesetzlichen, zeitlich befristeten Voraussetzungen zur Umsetzung solcher Vereinbarungen schaffen.

Die Bundesregierung wird außerdem Veränderungen am Altersteilzeitgesetz vornehmen; diese werden einer erhöhten Beschäftigungswirksamkeit dienen und die Gültigkeitsdauer verlängern. Darüber hinaus gilt es, die Spielräume für die Schaffung moderner Instrumente der Arbeitszeitpolitik zu nutzen.

Die Tarifvertragsparteien werden in den nächsten zwei Jahren Vorschlage aus der Diskussion um Arbeitszeitkonten zum Gegenstand tarifvertraglicher Vereinbarungen machen.

Die Bündnispartner streben an, die Attraktivität von Teilzeitarbeit zu steigern. Die Arbeitsgruppe "Arbeitszeitpolitik" wird dazu Vorschläge erarbeiten.

Die am Bündnis Beteiligten gehen davon aus, dass mit der Umsetzung dieser Vereinbarung entscheidende Schritte auf dem Weg zu mehr Beschäftigung und zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft getan werden.

 

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