Ausgabe April 2002

Zeuget und gebäret

Ende vorigen Jahres hat das Bundespresseamt eine Begleitbroschüre zu seiner Kampagne "Familie Deutschland" aufgelegt. In 107 Stichworten - von "Kindergeld" bis "Nationale Nachhaltigkeitsstrategie" - versucht diese den Eindruck zu erwecken, die rot-grüne Regierungsarbeit habe nur ein Ziel verfolgt: die Verbesserung der Lebensbedingungen von Familien und Kindern. "Familienpolitik ist eben immer noch Gesellschaftspolitik, ist Politik für die 'Familie Deutschland'", betont deren Erster Vater, Gerhard Schröder, im Geleitwort. 1)

Es ist noch gar nicht lange her, dass moderne Nationalstaatlichkeit und mit ihr die Bevölkerungspolitik als ein Relikt aus vergangener Zeit diskutiert wurden. Vorbei! Seit etwa drei Jahren erleben wir eine ideologische Renaissance der Bevölkerungspolitik. Aus der "Deutschland AG" wird die "Familie Deutschland". Für diesen Deutungswandel gibt es zwei strukturelle Gründe: Der "Staat" ist auch ein Selbstzweck. Wenn wir ihn als eine Organisation verstehen, die kein Interesse hat, sich selbst abzuschaffen, ist ihre Selbstvergewisserung über ständige Intervention nur konsequent. Und die Bevölkerungspolitik ist traditionell ein Zentralgebiet moderner Staatlichkeit. Zum Zweiten, Staat, Gesellschaft und Ökonomie brauchen Menschen.

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Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

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