Jeder US-Präsident ist gesetzlich verpflichtet, seine Version der "National Security Strategy of the United States" zu formulieren. George W. Bush legte seine – vom Nationalen Sicherheitsrat unter Condoleezza Rice erarbeitete – NSS am 20. Oktober d. J. dem Kongress und der Öffentlichkeit vor. Alarmierte Kommentare löste vor allem der Anspruch auf "präventive Selbstverteidigung" aus. Da eine amtliche deutsche Übersetzung des Papiers noch aussteht, dokumentieren wir nachfolgend das vom "Amerika Dienst" der Berliner US-Botschaft übersetzte Geleitwort, in dem Präsident Bush am 17. Oktober die Kerngedanken seiner NSS zusammenfasste. – D. Red.
Die großen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts zwischen Freiheit und Totalitarismus endeten mit einem deutlichen Sieg für die freiheitlichen Kräfte und einem einzigen nachhaltigen Modell für nationalen Erfolg: Freiheit, Demokratie und freies Unternehmertum. Im 21. Jahrhundert werden nur diejenigen Nationen das Potential ihrer Bürger freisetzen und zukünftigen Wohlstand sichern können, die sich dem Schutz grundlegender Menschenrechte und der Gewährleistung politischer und wirtschaftlicher Freiheit verpflichtet haben. Menschen auf der ganzen Welt wollen das Recht der freien Rede, ihre Regierung wählen können, ihre religiöse Überzeugung leben und ihre Kinder erziehen – seien es nun Jungen oder Mädchen -, Eigentum besitzen und die Früchte ihrer Arbeit genießen. Diese Werte der Freiheit sind für alle Menschen und in jeder Gesellschaft richtig und wahr, und die Pflicht, diese Werte gegen Feinde zu verteidigen, ist die gemeinsame Aufgabe aller freiheitsliebenden Menschen überall auf der Welt und zu allen Zeiten.
Die Vereinigten Staaten erfreuen sich gegenwärtig beispielloser militärischer Stärke und eines großen wirtschaftlichen und politischen Einflusses. Indem wir unserem Erbe und unseren Grundsätzen treu bleiben, nutzen wir unsere Stärke nicht für die Durchsetzung einseitiger Vorteile. Wir streben dagegen nach einem Kräftegleichgewicht zu Gunsten menschlicher Freiheit: Bedingungen, die es allen Nationen und Gesellschaften ermöglichen, für sich selbst den Lohn und die Herausforderungen politischer und wirtschaftlicher Freiheit zu wählen. Eine sichere Welt ermöglicht es den Menschen ein besseres Leben zu führen. Wir werden den Frieden gegen Bedrohungen durch Terroristen und Tyrannen verteidigen. Wir werden den Frieden durch den Aufbau guter Beziehungen zwischen den Großmächten bewahren. Und wir werden Frieden verbreiten, indem wir freie und offene Gesellschaften auf jedem Kontinent fördern.
Die Verteidigung unserer Nation ist die erste und wichtigste Verpflichtung der Regierung. Diese Aufgabe hat sich jetzt dramatisch verändert. In der Vergangenheit benötigten Feinde große Armeen und umfangreiche industrielle Fähigkeiten, um eine Gefahr für die Vereinigten Staaten darzustellen. Heutzutage können schemenhafte Netzwerke von Einzelpersonen großes Chaos und Leid über unser Land bringen – und es kostet sie weniger als ein einziger Panzer. Terroristen durchdringen offene Gesellschaften und richten moderne Technologien gegen uns.
Um mit dieser Bedrohung fertig zu werden, müssen wir jegliches uns zur Verfügung stehende Mittel anwenden: militärische Macht, verbesserte innere Sicherheit, Strafverfolgung, nachrichtendienstliche Tätigkeiten sowie energische Anstrengungen zur Unterbindung des Finanznachschubs für Terroristen. Der Krieg gegen weltweit agierende Terroristen ist eine globale Unternehmung von ungewisser Dauer. Die Vereinigten Staaten werden Nationen helfen, die im Kampf gegen den Terrorismus unsere Unterstützung brauchen. Die Vereinigten Staaten werden Länder zur Rechenschaft ziehen, die dem Terrorismus Vorschub leisten und solche, die Terroristen Zuflucht gewähren, denn die Verbündeten des Terrors sind die Feinde der Zivilisation. Die Vereinigten Staaten und die Länder, die mit uns zusammenarbeiten, müssen Terroristen daran hindern, neue Basislager einzurichten. Gemeinsam werden wir danach streben, ihnen jeglichen Zufluchtsort zu verwehren.
In der Verbindung von Radikalismus mit Technologie liegt die größte Gefahr für unsere Nation. Unsere Feinde haben offen erklärt, dass sie den Besitz von Massenvernichtungswaffen anstreben, und es gibt Beweise dafür, dass sie dieses Ziel mit Entschlossenheit verfolgen. Die Vereinigten Staaten werden es nicht zulassen, dass solche Bemühungen von Erfolg gekrönt werden. Wir werden uns gegen ballistische Raketen und andere Waffen schützen. Wir werden mit anderen Nationen zusammenarbeiten, um es unseren Feinden unmöglich zu machen, gefährliche Technologien zu beschaffen. Es ist eine Sache des gesunden Menschenverstands und der Selbstverteidigung, dass die Vereinigten Staaten gegen solche aufkommenden Bedrohungen vorgehen werden, bevor sie übermächtig werden. Wir können die Vereinigten Staaten und unsere Freunde nicht verteidigen, indem wir das Beste hoffen. Daher müssen wir bereit sein, die Pläne unserer Feinde zunichte zu machen, indem wir uns der besten Informationsquellen bedienen und mit Bedacht vorgehen. Die Geschichte wird mit denen scharf ins Gericht gehen, die diese Gefahr auf sich zukommen sahen, aber nichts dagegen unternommen haben. In der neuen Welt, in der wir leben, ist der einzige Weg zu Frieden und Sicherheit der Weg des Handelns.
Bei der Verteidigung des Friedens werden wir auch die historische Chance ergreifen, den Frieden zu bewahren. Die internationale Gemeinschaft hat jetzt die beste Chance seit der Entstehung der Nationalstaaten im 17. Jahrhundert, eine Welt zu schaffen, in der die Großmächte in Frieden konkurrieren, statt sich fortwährend auf einen Krieg vorzubereiten. Die Großmächte der Welt befinden jetzt sich auf der selben Seite – geeint durch die gemeinsame Bedrohung durch terroristische Gewalt und Chaos. Die Vereinigten Staaten werden auf der Basis dieser gemeinsamen Interessen auf die Förderung globaler Sicherheit hinarbeiten. Wir werden zunehmend durch gemeinsame Werte geeint. Russland befindet sich inmitten eines hoffnungsvollen Übergangsprozesses und strebt eine demokratische Zukunft und eine Partnerschaft im Krieg gegen den Terrorismus an. In China entdecken führende Politiker, dass wirtschaftliche Freiheit die einzige Quelle nationalen Wohlstands ist. Mit der Zeit werden sie feststellen, dass gesellschaftliche und politische Freiheit die einzige Quelle nationaler Größe ist. Die Vereinigten Staaten werden das Streben nach Demokratie und wirtschaftlicher Offenheit in beiden Ländern unterstützen, denn dies sind die besten Voraussetzungen für innere Stabilität und internationale Ordnung. Wir werden der Aggression anderer Großmächte mit Nachdruck entgegentreten, auch wenn wir ihr friedvolles Streben nach Wohlstand, Handel und kulturellem Fortschritt begrüßen.
Schließlich werden die Vereinigten Staaten die Gunst der Stunde nutzen, um die Vorzüge der Freiheit in der ganzen Welt zu verbreiten. Wir werden uns aktiv dafür einsetzen, die Hoffnung auf Demokratie, Entwicklung, freie Märkte und freien Handel in jeden Winkel der Erde zu tragen. Die Ereignisse am 11. September 2001 haben uns gelehrt, dass schwache Staaten wie Afghanistan eine ebenso große Gefahr für unsere nationalen Interessen darstellen können wie starke Staaten. Armut macht arme Menschen nicht zu Terroristen oder Mördern. Dennoch können Armut, schwache Institutionen und Korruption schwache Staaten anfällig für Terrornetzwerke und Drogenkartelle machen.
Die Vereinigten Staaten werden jedem Land zur Seite stehen, dass entschlossen ist, eine bessere Zukunft zu bauen, indem es die Früchte der Freiheit für seine Bürger erntet. Freier Handel und freie Märkte haben bewiesen, dass ganze Gesellschaften durch sie die Armut abschütteln konnten. Die Vereinigten Staaten werden daher mit einzelnen Ländern, ganzen Regionen und allen Handel treibenden Staaten an einer Welt arbeiten, in der in Freiheit Handel betrieben wird und deren Wohlstand dadurch wächst. Im Rahmen des New Millennium Challenge Account werden die Vereinigten Staaten solchen Ländern mehr Entwicklungshilfe gewähren, die gerecht regieren, in ihr Volk investieren und wirtschaftliche Freiheit fördern. Unser Land wird auch weiterhin bei der Bekämpfung von HIV/AIDS und anderen Infektionskrankheiten eine weltweit führende Rolle spielen.
Im Streben nach einem freiheitsorientierten Kräftegleichgewicht werden die Vereinigten Staaten von der Überzeugung geleitet, dass alle Nationen eine wichtige Verantwortung tragen. Freie Nationen müssen Terrorismus aktiv bekämpfen. Nationen, die von internationaler Stabilität abhängig sind, müssen dazu beitragen, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu verhindern. Nationen, die internationale Hilfe brauchen, müssen selbst weise regiert werden, damit die Unterstützung sinnvoll verwendet werden kann. Um sich frei entfalten zu können, ist Verantwortungsbewusstsein nötig und wird auch erwartet.
Wir werden auch von der Überzeugung geleitet, dass kein Land allein eine sichere und bessere Welt bauen kann. Bündnisse und multilaterale Institutionen können die Stärke freiheitsliebender Nationen vervielfältigen. Die Vereinigten Staaten haben sich dauerhaften Institutionen verpflichtet, wie den Vereinten Nationen, der World Trade Organization, der Organization of American States, der NATO und anderen bewährten Bündnissen. Bündnisse der Willigen können diese beständigen Institutionen bestärken. Auf jeden Fall müssen internationale Verpflichtungen ernst genommen werden. Man kann ihnen nicht symbolisch nachkommen und sich für ein Ideal einsetzen, ohne dessen Verwirklichung anzustreben.
Freiheit ist eine nicht verhandelbare Forderung menschlicher Würde, das Geburtsrecht jedes Menschen in jeder Zivilisation. In der Geschichte wurde die Freiheit durch Krieg und Terrorismus bedroht, sie wurde von den widersprüchlichen Absichten mächtiger Staaten und den verwerflichen Zielen von Tyrannen in Frage gestellt und durch weit verbreitete Armut und Krankheiten auf die Probe gestellt. Die Menschheit hat jetzt die Möglichkeit, den Triumph der Freiheit über all diese Widerstände voranzutreiben. Die Vereinigten Staaten begrüßen ihre Verantwortung, bei dieser großartigen Mission eine führende Rolle zu spielen.
Unterzeichnet durch den Präsidenten, Weißes Haus 17.9.2002