Politisch unverdächtig lässt sich in Deutschland über nationale Identität sprechen, indem man ideologiekritisch die divergierenden Interessen hinter dem Anschein des Gemeinsamen entlarvt oder im Hinblick auf den Holocaust das Bewusstsein einer negativen Täter-Identität wachhält. Sich auf eine nicht negative Identität anders als ideologiekritisch besinnen zu wollen, zieht folglich einen Irrationalismusverdacht auf sich. Trotzdem mehren sich Bemühungen, einen mit der Wiedervereinigung zurückgewonnenen Spielraum des "Normalen" öffentlich auszuloten, zu dem auch eine zumindest nicht nur negative Identität gerechnet wird. So verbanden sich mit den Stichworten der "deutschen Leitkultur" oder des "Nationalstolzes" (wenig geglückte) Versuche, einer positiven nationalen Identität eine größere Rolle im politischen Bewusstsein zu verschaffen, wie dies schon mit der Suche nach "zustimmungsfähigen Inhalten" zur Zeit des Historikerstreites der Fall gewesen war. Außer auf positive Selbstverständnisse zielt der Normalitätsanspruch auch darauf, den Zweiten Weltkrieg stärker als zuvor aus der Perspektive selbst erlittenen Unrechts zu vergegenwärtigen.
In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn.