Wohin steuert Bolivien? Diese Frage stellt sich nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen von Dezember erneut. Auch und gerade, weil Evo Morales und seine „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) die Wahlen klar gewonnen haben. Zwar wurde mit der Verabschiedung der neuen Verfassung im Januar 2009 die proklamierte „Neugründung“ des Landes hin zu einem „plurinationalen Staat“ auf den Weg gebracht. Erklärtes Ziel ist dabei ein Staat, in dem die indigene Bevölkerungsmehrheit 500 Jahre nach Beginn der spanischen Conquista ihre Rechte und vor allem ihre Würde zurückerhält – ein Staat, der wieder den Menschen und nicht das Kapital in den Mittelpunkt stellt. Aber der genaue Charakter dessen, was sich in Gründung befindet, ist noch immer viel zu unbestimmt.
Nach Wahl und Referendum muss daher nun die Verfassung in die Realität umgesetzt werden. Die Voraussetzungen dafür sind besser als bisher. Die 64 Prozent der Wählerstimmen sind für Morales und seinen Vizepräsidenten Álvaro García Linera ein klarer Vertrauensvorschuss. Insgesamt belegt das Wahlergebnis vom Dezember eine deutliche Verschiebung der politischen Stimmung zugunsten der Regierung. Zwar gewann die Opposition erneut die rohstoffreichen Tieflanddepartements Pando, Beni und Santa Cruz, aber selbst dort erhielt Morales mehr Stimmen als zuvor.