Ausgabe September 2011

Hunger in Afrika, unsere Katastrophe

Die Hungerbilder, die wir bislang sahen und in den nächsten Wochen weiter zu sehen bekommen werden, zeigen das wahre Ausmaß der Katastrophe. Nämlich der unsrigen. Sie zeigen die Prioritätenliste der europäischen Staaten. Denn während Regierungschefs angesichts der Euro-Krise alles stehen und liegen lassen und für Milliardenkredite und Rettungen sogar nachts zueinander finden, während trotz Ferienzeit Telefonkonferenzen organisiert werden, um gemeinsam um Lösungen zu ringen, sterben vor ihren und unseren Augen Millionen Arme an Hunger. Wir reden hier nicht über Tausende, Hunderttausende, sondern über zehn Millionen Menschen, die hungern, und 2,5 Millionen Menschen, die in akuter Lebensgefahr sind.

Eine Weile wurde diese Meldung in den Nachrichten zwischen englischem Medienskandal und Krisentreffen zur Schuldenkrise platziert. Nicht bevorzugt, sondern gleichwertig aufbereitet, wie jeder andere Beitrag auch. Kein Brennpunkt, keine Sondersendung angesichts von Menschen, die vor Erschöpfung und Ausgezehrtheit wie die Fliegen umkippen – als hätte das alles nichts mit uns zu tun und wäre nicht mindestens so dringend, wie alle momentan als dringend erachteten Angelegenheiten auch.

Sind wir, die satten Bürger der vermögenden Nationen, etwa unbeteiligt und unschuldig an der Misere? Sind nicht wir es, die die extremen Preisschwankungen von Getreide verantworten, weil die Anleger unserer Länder ihre irrsinnigen Spekulationsgeschäfte auf den Rohstoffmärkten tätigen? Selbst die Klimaschwankungen, unter denen afrikanische Bauern zu leiden haben, sind eine auch von uns verschuldete Misere. Was ist wichtiger? Geld, Banken, Währungen? Oder Kinder? Könnte nicht wenigstens beides gleich dringend sein?

Doch wenn unsere Regierung über die von Hunger betroffenen Menschen in Äthiopien, Kenia und Somalia spricht, dann klingt es, als wäre das alles weit weg von uns. Natürlich stimmt es nicht, dass die vermögenden Länder nicht helfen könnten, weil die korrupte somalische Miliz die Hilfe sabotiert. Das tut sie, keine Frage. Doch für die Bereicherung an Armut sorgen wir auf den Weltmärkten selber: Weil die Anleger auf Lebensmittel spekulieren dürfen, bekommen die Bauern und die UNO für ihr Geld immer dann besonders wenig Weizen, wenn die Nachfrage der Dürre wegen besonders groß ist.

Bis zum heutigen Tag hat es zur Lage der Hungernden im Deutschen Bundestag keine einzige Sondersitzung gegeben. Obwohl seit Januar die Lage bekannt ist, bequemten sich erst Ende Juli die Vereinten Nationen zu einer Sondersitzung nach Rom. Da waren laut Angaben des UNHCR schon 180 000 Somalier unterwegs auf der Suche nach Nahrung, Schutz und Obdach. Von fehlenden Proteinkeksen war bereits damals die Rede. Davor kamen von der benötigten einen Milliarde US-Dollar lediglich 200 Mio. Dollar zusammen.

Es lohnt sich genau zu schauen, wie sich die einzelnen Länder finanziell verhielten, als die Bilder von Hungernden noch nicht in den Hauptnachrichten gezeigt wurden. Großbritannien stellte sofort 100 und Spanien 10 Mio. US-Dollar bereit. Die deutsche Kanzlerin kam zu diesem Zeitpunkt gerade aus Afrika zurück, wo sie vor allem „Rechtssicherheit“, auch für die deutsche Exportwirtschaft, gefordert hatte. Angesichts der humanitären Katastrophe sagte sie vor Ort eine Million Euro zu. Was für eine Diskrepanz zwischen wirtschaftlichem Eigennutz und humanitärer Hilfe!

Und wie sind die Aussagen des Entwicklungsministers Dirk Niebel zu bewerten, wenn er meint, die Afrikanische Union und die muslimischen Länder sollten sich stärker für ihre „Glaubensbrüder und -schwestern“ einsetzen? Hier drängt sich der Eindruck auf, dass die Welt immer dann in Religionsgemeinschaften aufgeteilt wird, wenn es um Hilfe und Humanität geht, also da, wo das Geben im Vordergrund steht – aber da, wo es ums Nehmen geht, weder Herkunft noch Glaube oder Hautfarbe im Wege stehen.

Da stehen Sie also, unsere Kanzlerin und unser Entwicklungsminister, und ersuchen ihre Bürgerinnen und Bürger um Spenden für Afrika. Denn da, wo Arme und Hungernde betroffen sind, treten die Regierungen als Bittsteller auf. Bei der Bankenrettung dagegen bittet niemand um Spenden. Da werden Steuergelder verwendet.

 

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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