Ausgabe August 2021

Spur der Verwüstung: Die zerstörerische Jagd nach Sand

Luftaufnahme einer Sandmine bei San Antonio in Texas / USA (IMAGO / Westend61)

Bild: Luftaufnahme einer Sandmine bei San Antonio in Texas / USA (IMAGO / Westend61)

Ob am Meeresstrand oder in der Wüste: Sand scheint in unbegrenzter Menge zur Verfügung zu stehen. Doch der Eindruck täuscht – Sand wird in vielen Regionen der Welt knapp und die stetige Suche nach neuen Sandquellen hinterlässt eine Spur der Verwüstung. Nach Wasser ist Sand die meistgenutzte Ressource der Welt. Man findet ihn in Beton, Asphalt, Glas und Elektronik, als Schleif- oder Bremsmittel, in Kosmetikprodukten und vielem mehr. Kurzum: Ohne dass wir uns dessen bewusst sind, basiert ein großer Teil unserer Lebensweise auf Sand. Und das wird zunehmend zum Problem. Verschwundene Inseln in Indonesien, eine über Leichen gehende Sandmafia in Indien[1], der Import von Sand aus Australien in den Wüstenstaat Dubai zur Errichtung des Burj Khalifa, des gegenwärtig höchsten Bauwerks der Welt – das sind nur die spektakulärsten Symptome einer globalen Entwicklung. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen spricht bereits von einer „der größten Nachhaltigkeits-Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“.[2] Bislang allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, dass diese schnell gemeistert sein wird. Denn obwohl Sand in nahezu allen mit dem Anthropozän[3] verbundenen Prozessen eine Schlüsselrolle spielt, bleibt er in der Debatte um eine nachhaltige Zukunft medial und wissenschaftlich unterrepräsentiert, während der Raubbau anhält.

Schätzungsweise werden jährlich zwischen 32 und 50 Mrd. Tonnen Sand abgebaut – dreimal so viel wie noch vor 20 Jahren.[4] Doch die Datenlage ist schlecht, viele Länder veröffentlichen keine offiziellen Abbaumengen, ganz zu schweigen vom florierenden illegalen Handel mit Sand. Eines aber steht fest: Die ökologischen und sozioökonomischen Folgen des rasanten Sandabbaus sind enorm.

Das unscheinbare Sediment

Geologisch betrachtet, ist Sand ein Sediment und wird allein über seine Korngröße definiert, die mineralische Zusammensetzung spielt zunächst keine Rolle: Er kann aus Muschel- und Korallenbruchstücken bestehen, vulkanischen Ursprungs sein oder sogar künstlich aus Glas hergestellt werden. Der Großteil des Sands auf der Erde ist Quarzsand. Quarz ist die kristalline Form von Siliziumdioxid und eines der häufigsten Minerale der Erdkruste. In der Größe eines Sandkorns sind Quarzkörner nahezu immun gegenüber Erosion und sammeln sich somit in den Unterläufen von Flüssen, vor und an den Küsten und in ehemals glazial, durch die Eiszeit geprägten Landschaften.

Die geologische Geschichte bestimmt somit die Verfügbarkeit. In Deutschland ist mit der norddeutschen Tiefebene ein riesiges Sanddepot vorhanden – allerdings wächst auch hierzulande der Protest gegen fortwährenden Abbau.[5] Andere Regionen, wie der afrikanische Kontinent oder Indien, sind jedoch auf Flüsse als Sandquellen angewiesen, weil sie über keine durch Eiszeiten entstandenen Reserven verfügen. Als dynamische Systeme sind jedoch Flüsse besonders anfällig gegenüber menschlichen Eingriffen: So kann der Sandabbau zu sinkenden Grundwasserspiegeln führen, wodurch sowohl die Trinkwasserversorgung als auch die Ackerbewässerung gefährdet wird. Ufererosionen bedrohen ebenso die Ökosysteme wie veränderte Strömungsverhältnisse, die zum Eindringen von salzigem Meerwasser in Süßwasserbiotope führen können.

Die Betonwüste

Aufgrund fehlender Alternativen verlagert sich die Sandgewinnung zunehmend auch an die Strände und in die flachen Küstenbereiche – trotz oftmals minderwertiger Sandqualität. Dieser Entwicklung sind bereits ganze Strände zum Opfer gefallen, so wie in Jamaica, wo es Unbekannten gelang, 500 LKW-Ladungen weißen Strandsand zu entwenden.[6]

Für Marokko sprechen die Vereinten Nationen sogar von einem organisierten kriminellen Unterfangen, welches systematischen Raubbau betreibt. Verwendet wird der Sand meist zur Errichtung touristischer Infrastruktur – ironischerweise auch zum Aufbessern von Stränden andernorts. Der (Quarz-)Sand wird in beinahe jedem Industriezweig verwendet. Der größte Verbraucher ist dabei die Bauwirtschaft. Sand ist neben Zement einer der Hauptbestandteile von Beton. Als solcher ist er im Zuge der Urbanisierung unverzichtbar geworden und der Bedarf steigt kontinuierlich. Insbesondere China stellte in den vergangenen Jahren einen Rekord nach dem anderen auf. Allein zwischen 2012 und 2014 verbrauchte das Riesenreich im Zuge umfangreicher Städtebau- und Infrastrukturmaßnahmen mehr Zement – und damit auch Sand – als die USA im gesamten 20. Jahrhundert.[7]

Dabei scheint die Lösung für die Sandkrise auf der Hand zu liegen: Entlang der Wendekreise erstrecken sich Wüsten riesigen Ausmaßes und die Desertifikation, die Verwüstung, schreitet weltweit voran. Doch die Betonwüste kann nicht aus ihrem natürlichen Pendant entspringen, denn der Großteil des Wüstensandes eignet sich nicht für die Verwendung in der Bauwirtschaft. Lange hielt sich das Gerücht, die Körner seien zu rund und würden sich somit nicht ausreichend miteinander verzahnen. Doch mittlerweile ist klar, dass sie vor allem zu fein sind.[8] Wüstensand wird durch Wind akkumuliert und dieser transportiert fast ausschließlich kleine Sandkörner. Für die Verwendung in Beton oder auch für Aufschüttungen wird jedoch eine Mischung des gesamten Korngrößenspektrums benötigt, wie es beispielsweise beim stetig gewachsenen Sandvorkommen durch Flüsse oder Gletscher vorliegt.

Doch selbst wenn es funktionieren würde: Die schiere Menge und Masse des für Gebäude- und Infrastrukturprojekte benötigten Sandes macht den Transport bei den meisten Bauvorhaben schon nach kurzen Distanzen unwirtschaftlich. Denn Sand ist schwer, weshalb auch die in den letzten Jahrzehnten drastisch gesunkenen Transportkosten kaum weiterhelfen. Regionalen Knappheiten kann dadurch nur bedingt mit Sand aus weiter entfernt gelegenen Gebieten begegnet werden. Die Folge: Regionale und für die örtlichen Ökosysteme entscheidende Sandvorkommen werden vielerorts rücksichtslos ausgebeutet. Ein Beispiel ist der vom Jangtsekiang durchflossene Poyang-See in China, eines der bedeutendsten Feuchtgebiete der Erde, das regelmäßig als Winterquartier für eine halbe Million Zugvögel dient. Lange Zeit war das Areal wichtiger Sandlieferant für die zahlreichen flussabwärts gelegenen Millionenstädte wie Shanghai oder Nanjing. In Kombination mit Staudämmen im Oberlauf hat der Sandabbau zu einem kritischen Absinken der Wasserstände in den Trockenzeiten geführt und bedroht damit die Trinkwasserversorgung und Artenvielfalt der Region.[9]

(Kein) Land in Sicht

Neben der Betonproduktion kommt Sand eine weitere entscheidende Funktion zu: Er kann Land erschaffen. Die Gründe für die Landgewinnung sind vielfältig. Singapur beispielsweise ging die Landmasse aus, der Stadtstaat platzte aus allen Nähten. Also entschloss man sich, ins Meer zu expandieren. Mittlerweile wurden so über 130 km2 Land zum ursprünglichen Staatsgebiet hinzugefügt, aufgeschüttet mit Sand.[10] Für Dubai hingegen ging es allein um Prestige und Luxus. Die mittlerweile berühmt gewordenen und aus dem Weltall sichtbaren „Palm Islands“ sowie das derzeit stockende Projekt „The World“, ein aus 300 künstlichen Inseln erschaffenes Archipel in Form einer Weltkarte, verschlangen gigantische Mengen Sand. Im Südchinesischen Meer avancieren Landgewinnungsmaßnahmen zudem zu einem entscheidenden Mittel im Wettstreit um die Gebietshoheit: Wo früher Atolle und Riffe waren und kaum ein Stein aus dem Wasser ragte, erstrecken sich nun künstliche Militärbasen, mit denen neue Gebietsansprüche auf die umliegenden Gewässer einhergehen – und damit auf die Vorherrschaft über wichtige Handelsgewässer.[11]

Das Werkzeug für Landgewinnung und Strandaufspülungen ist der sogenannte Hopperbagger. Dieser saugt die oberste Schicht des Meeresbodens, inklusive aller darin befindlichen Tiere und Pflanzen, an und spült sie mittels einer riesigen Sandkanone an den vorgesehenen Platz. Die ökologischen Folgen sind verheerend, denn der für viele Lebewesen so wichtige Lebensraum Sand wird vollständig zerstört und die riesigen Mengen aufgewirbelter Schwebstoffe schädigen umliegende Riffe.

Resilienzkiller Sandabbau

Mancherorts dienen die alljährlichen Strandaufspülungen auch als Puffer zwischen Land und Meer, indem sie die Energie der auflaufenden Wellen abfangen. Im Fall von Starkwetterereignissen können sie die bebaute Küstenlinie vor der Zerstörung retten. Hier beginnt sich eine Negativspirale zu entfalten, die die zentrale Rolle von Sand im Anthropozän verdeutlicht: Denn genau diese Starkwetterereignisse nehmen durch den Klimawandel zu. Verbunden mit dem steigenden Meeresspiegel stellen sie eine enorme Gefahr für Küstenstädte dar. Zugleich hat auch der Sandabbau direkt und indirekt einen großen Einfluss auf das Klima: Direkt durch die beim Abbau und Transport entstehenden Emissionen, zu deren Ausmaß es bislang zwar keine belastbaren Daten gibt, die aufgrund der riesigen Menge abgebauten Materials aber beachtlich sein müssen. Indirekt trägt auch die Herstellung von Beton, wofür neben Sand auch Zement benötigt wird, zum Klimawandel bei: Bei dessen Produktion werden große Mengen CO2 freigesetzt, global gesehen mehr als doppelt so viel wie durch den gesamten Flugverkehr.[12] Zugleich erodieren die Strände vielerorts durch den Sandabbau und können dadurch Starkwetterereignisse und steigendem Meeresspiegel immer weniger standhalten.

Diese Dynamik erzeugt einen gefährlichen Kreislauf, in dem es neben der Sandindustrie keine Gewinner gibt. Vielmehr bedroht dieser weltweit Millionen von Menschen. Fast zwei Drittel der Städte mit mehr als acht Millionen Einwohnern liegen an Küsten.[13] Alle diese Städte werden sich in den kommenden Jahrzehnten gegen die Auswirkungen des Klimawandels schützen müssen und brauchen dafür Sand, dessen Abbau wiederum zur Erderwärmung beiträgt. Es gibt kaum ein passenderes Beispiel für das Sägen am eigenen Ast.

Die Frage nach dem Schuldigen wird in der Berichterstattung oft mit einem Verweis auf die globale Demographie beantwortet. Stetes Bevölkerungswachstum und Urbanisierung in den Ländern des globalen Südens führe unausweichlich zu Ressourcenübernutzung und Umweltzerstörung. Doch dieses Argument entpolitisiert die Diskussion und weist nur inhumane oder zumindest fragwürdige Handlungsoptionen auf. Vielmehr sind im Fall von Sand – wie bei vielen anderen Ressourcen auch – Verursachende und Leidtragende des Raubbaus nicht identisch: Die durch den Sandabbau verursachten ökologischen Schäden, etwa ein sinkender Grundwasserspiegel oder eine verringerte Biodiversität, verschlechtern die sozioökonomische Situation der Bevölkerung in den Abbaugebieten. Diese ist oftmals aber nicht die Urheberin des ökologischen Schadens, sondern wird Opfer externalisierter Kosten von geographisch teilweise weit entfernten Akteuren. Umgekehrt zwingt eine schlechte sozioökonomische Lage die Bevölkerung wiederum zu umweltschädlichen und wenig nachhaltigen Praktiken, darunter auch der Sandabbau. Dass der globale Norden die externen Kosten seiner Lebensweise für Umwelt, Menschen und Klima nicht berücksichtigt, findet bislang zu wenig weltpolitische Aufmerksamkeit.[14]

Die gute Nachricht ist allerdings: Es gibt viele Stellschrauben, an denen gedreht werden kann. Eine Welt, in der weniger Sand konsumiert wird, ist möglich. Sie wäre eine mit weniger Flächenversiegelung, weniger Autos und nachhaltigeren Städten. Sie müsste mehr Beton recyclen, auf alternative Baustoffe umsteigen und gleichzeitig Ökosysteme und Resilienz erhalten. Denn die beschriebene Negativspirale funktioniert auch in die andere Richtung: Weniger Sandverbrauch würde zu weniger Erosion und weniger Emissionen führen, dies wiederum zu erhöhter Resilienz und weniger Starkwetterereignissen, in der Folge würde dies weniger Sandabbau nötig machen, weil weniger zu reparierende Schäden entstehen. Doch damit es dazu kommt, bedarf es dringend einer intensiven wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik – und zwar weltweit.

[1] Vgl. Barbara Tambour, Der Kampf um den Sand, in: „Publik Forum“, 5/2018, S. 12-16.

[2] UNEP, Sand and Sustainability: Finding new solutions for environmental governance of global sand resources, Geneva 2019, S. 9.

[3] Das Anthropozän bezeichnet das maßgeblich vom Menschen beeinflusste Zeitalter, vgl. Michael Müller, Das Anthropozän oder: Wie wir die Erde verkonsumieren, in: „Blätter“, 3/2021, S. 107-112.

[4] Vgl. Mette Bendixen, Jim Best, Chris Hackney und Lars Lønsmann Iversen, Time is running out for sand, in: „Nature“, 7/2019, S. 29; UNEP, Sand and Sustainability: Finding new solutions for environmental governance of global sand resources, Geneva 2019, S. 4.

[5] Vgl. Heike Holdinghausen, Der Kampf um Kies und Krumen, www.taz.de, 13.1.2018.

[6] Rory Carroll, Jamaican police left stranded after thieves steal a beach, www.theguardian.com, 21.10.2008.

[7] Ana Swanson, How China used more cement in 3 years than the U.S. did in the entire 20th Century, www.washingtonpost.com, 24.3.2015.

[8] Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, Zu fein – Wüstensand kein hochwertiger Baurohstoff, www.bgr.bund.de, 6.8.2019.

[9] Jana Kandarr, Folgen des Sandabbaus, www.eskp.de, 9.5.2018.

[10] UNEP, Sand and Sustainability: Finding new solutions for environmental governance of global sand resources, Geneva 2019, S. 8.

[11]  Matthias Naß, Chinas Ansprüche sind auf Sand gebaut, www.zeit.de, 20.7.2016.

[12] Ralf Nestler, Klimakiller Beton – Die klimaschädliche Gier nach Zement, www.tagesspiegel.de, 20.9.2019.

[13] Heinrich-Böll-Stiftung, Küsten: Leben in der Risikozone, www.boell.de, 10.05.2017.

[14] Vgl. Ulrich Brand und Markus Wissen, Unsere schöne imperiale Lebensweise. Wie das westliche Konsummodell den Planeten ruiniert, in: „Blätter“, 5/2017, S. 75-82.

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