Ausgabe Februar 2022

Europas Zäune, Europas Schande

Das polnisch-belarussische Flüchtlingsdrama und die Macht der Bilder

Ein Banner mit dem Bild eines Flüchtlingskindes neben einem polnischen Grenzmarkierungspfahl bei Michalowo (Polen), 23.10.2021 (IMAGO / NurPhoto)

Bild: Ein Banner mit dem Bild eines Flüchtlingskindes neben einem polnischen Grenzmarkierungspfahl bei Michalowo (Polen), 23.10.2021 (IMAGO / NurPhoto)

Es gibt Fotos, die den Lauf der Welt verändert haben. Meist handelt es sich dabei um ältere Aufnahmen aus der Zeit vor der allgemeinen digitalen Bilderflut. Die Bilder von im Feuer schmorenden Kindern aus Ludlow in Colorado waren verschwommen, man hatte sie aus einiger Entfernung aufgenommen. Der Besitzer des dortigen Bergwerkes hatte 1914 die Nationalgarde angeheuert, damit sie die Baracken der Bergarbeiter, die angemessene Löhne forderten, in Brand steckte. Es waren diese Bilder, die in der öffentlichen Meinung zu einem Umdenken beim Thema Streik führten. Der Kohletrust errang einen Pyrrhussieg, denn der Kongress in Washington sah sich gezwungen, für den Schutz der Arbeiter einzutreten.

Aufnahmen, die Kinder als Opfer zeigen, wirken von jeher auf die kollektive Vorstellungskraft, insbesondere wenn sie nicht durch krude Brutalität vor den Kopf stoßen. Ein Übermaß an Gewalt – so der amerikanische Dokumentarfilmer und Kriegsberichterstatter Tim Hetherington in einem Interview mit dem wunderbaren Titel „Der Krieg der guten Menschen“ – schockiert nämlich und bringt nicht zum Nachdenken, sondern resultiert in Gleichgültigkeit. Man vergleiche Hetheringtons Dokumentarfilm „Restrepo“ über den Krieg in Afghanistan mit der allzu platten Darstellung des Krieges in Wojtek Smarzowskis Film „Sommer 1943 – Das Ende der Unschuld“.

Februar 2022

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In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

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