Ausgabe Mai 2023

Die neue Schuldenkrise

Wie die internationale Entwicklungspolitik den Globalen Süden ruiniert

Die Bevölkerung Sri Lankas muss aktuell mit einer Inflation von über 50 Prozent zurechtkommen, Foto: Auf einem Markt in Colombo, 21.3.2023 (IMAGO / NurPhoto / Thilina Kaluthotage)

Bild: Die Bevölkerung Sri Lankas muss aktuell mit einer Inflation von über 50 Prozent zurechtkommen, Foto: Auf einem Markt in Colombo, 21.3.2023 (IMAGO / NurPhoto / Thilina Kaluthotage)

Seit die Schweizer Großbank UBS Ende März ihre taumelnde Konkurrentin Credit Suisse übernommen hat, ist auch in Europa von einer neuen Bankenkrise die Rede. Nahezu unbeachtet von der hiesigen medialen Öffentlichkeit bahnt sich im Globalen Süden dagegen schon lange eine tiefgreifende Schuldenkrise an, die die der 1980er Jahre noch in den Schatten stellen könnte. Mitverantwortlich dafür sind ausgerechnet jene Institutionen, die die Situation in den betroffenen Ländern eigentlich verbessern sollen: die der deutschen wie internationalen Entwicklungszusammenarbeit.

Erst im vergangenen Jahr erklärten das westafrikanische Ghana und der südasiatische Inselstaat Sri Lanka ihre Zahlungsunfähigkeit – sie konnten ihre Schulden nicht mehr bedienen. Beide Länder verfügen über einen besonders hohen Anteil an finanzmarktbasierten Schulden und leisten entsprechend hohe Zinszahlungen. Ghana war 2007 das erste westafrikanische Land, das in großem Maßstab international handelbare Staatsanleihen ausgab; auch in Sri Lanka machen international handelbare Anleihen inzwischen den größten Anteil der Staatsschulden aus.[1]

Damit liegen beide Länder ganz im Trend der internationalen Entwicklungsfinanzierung. Die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die Sustainable Development Goals (SDG), als wesentliche Richtschnur der Entwicklungspolitik, sollen vor allem mit privaten Geldern finanziert werden. Die SDG tragen damit wesentlich zur sogenannten Finanzialisierung von Entwicklungspolitik bei – also zu einem Fokus auf international handelbare Finanzierungsinstrumente.[2] Entsprechend wirbt die Weltbank mit ihrem Programm „From Billions to Trillions“ damit, öffentliche Gelder so einzusetzen, dass Investitionsrisiken minimiert und private Finanzinvestitionen in Infrastruktur, Bildung oder Gesundheit angelockt, sprich: „gehebelt“ werden. In Bezug auf Afrika formuliert es das zentral von Deutschland getragene Vorhaben Compact with Africa der G20 deutlich: „Es gibt einen globalen Pool privater Finanzmittel, die für afrikanische Investitionen genutzt werden können.“ Der immense private Reichtum dieser Welt soll also in die wirtschaftliche Entwicklung des afrikanischen Kontinents investiert werden. Dabei wird von einer Win-win-Situation ausgegangen: profitabel angelegte private Finanzinvestitionen schaffen wirtschaftliche Entwicklung und Wohlstand für alle, so zumindest die Annahme.

Doch sind es nicht allein Finanzen, die ausschlaggebend für eine nachhaltige und gerechte ökonomische Entwicklung sind, sondern deren langfristige Steuerung nach entwicklungspolitischen Kriterien. Investitionen globaler Finanzmarktakteure aber müssen vor allem eines sein: profitabel. Sie werden nur gewinnbringend angelegt und möglichst dann umgeschichtet, wenn woanders die Gewinnaussichten besser sind. Genau dies passiert zurzeit. Wir sehen dies – mit noch unklarem Ausgang – im Globalen Norden bei der aktuellen Bankenkrise, die sich – noch – vor allem auf die USA und die Schweiz konzentriert. Wir sehen es aber auch in Ländern des Globalen Südens, wo sich schon seit längerem eine dramatische Schuldenkrise anbahnt. Die globalen Institutionen der Entwicklungsfinanzierung, unter anderem auch die deutschen, gießen dabei mit der Förderung marktbasierter Finanzierungsinstrumente von Entwicklungshilfe unablässig Öl ins Feuer, statt strukturelle Lösungen zu unterstützen.

Eine systemische Krise mit langem Vorlauf

Die sich anbahnende Schuldenkrise des Globalen Südens ist systemisch, tiefgreifend und sie hat einen langen Vorlauf. Ihre sozialen, ökologischen und ökonomischen Folgen allerdings sind bereits jetzt verheerend. Länder wie Tunesien, Ägypten, Argentinien oder Pakistan können ihren Schuldendienst eigentlich nur noch mit Notkrediten des Internationalen Währungsfonds weiter bestreiten; dringend nötige öffentliche Ausgaben fallen hingegen hinten runter, die IWF-Vorgaben bedeuten zusätzliche harsche soziale Einschnitte. Der Währungsfonds vergab deshalb im vergangenen Jahr Notkredite in bisher ungekannter Höhe – mittlerweile wird bereits darüber diskutiert, ob das IWF-Budget bald am Limit ist.[3]

In den deutschen Medien ist die Schuldenkrise des Globalen Südens allerdings kaum präsent und wenn, dann wird entweder China oder korrupten Regierungen in den jeweiligen Ländern die Hauptverantwortung gegeben. Beides springt zu kurz oder schlicht in die falsche Richtung.

Die öffentliche Verschuldung nimmt seit 1980 zweimal so schnell zu wie das globale Bruttosozialprodukt. Und während sich die Verschuldung beschleunigt, verlangsamt sich das weltweite Wachstum deutlich – der globale private Reichtum aber nimmt unterdessen immer obszönere Ausmaße an.[4] Durch die historische Struktur der globalen Ökonomie trifft die Verschuldung Länder an der Peripherie des Kapitalismus besonders schwer; Möglichkeiten, Krisen wie die Coronapandemie auszugleichen, existieren faktisch nicht. So verwendete Ghana Ende vergangenen Jahres über 70 Prozent seiner Steuereinnahmen für den Schuldendienst; 64 Prozent des externen Schuldendienstes gehen an private Gläubiger, zumeist an Anleihebesitzer. Und das obwohl Ghana der Donordarling Deutschlands und der EU sowie enger Kooperationspartner im von Deutschland getragenen Compact with Africa ist. Das Land hat mit Verve die marktbasierte Entwicklungsfinanzierung verfolgt. Dabei haben sich Ghanas Schulden im Zuge der Niedrigzinspolitik im Dollar- und Euroraum in den letzten fünfzehn Jahren vervielfacht. Spätestens die Coronakrise führte das Land jedoch an den Rand der Zahlungsunfähigkeit; die durch den russischen Einmarsch in die Ukraine ausgelösten steigenden Importpreise sowie die Zinserhöhungen in den USA und Europa bereiteten seiner Schuldendienstfähigkeit dann gänzlich ein Ende. Damit steht Ghana exemplarisch für die Verschuldung des Globalen Südens. Nicht nur sind die Schulden weltweit drastisch gestiegen,[5] auch der Anteil privater, marktbasierter Schulden hat deutlich zugenommen. Insbesondere sogenannte (Lower-)Middle-Income-Countries wie Ghana oder Sri Lanka sind von internationalen Finanzinstitutionen ermutigt worden, Staatsanleihen auszugeben. Diese verbrieften Schuldtitel sind auf internationalen Finanzmärkten handelbar. Dadurch haben auch die global agierenden privaten Ratingagenturen zentralen Einfluss auf die Konditionen, zu denen Schulden aufgenommen werden können: Je größer das von ihnen eingeschätzte Investitionsrisiko, desto höher fallen die Zinsen aus. Die Refinanzierung der Schulden, also die Aufnahme neuer Schulden, um die alten zu bezahlen, kann damit noch ruinöser werden – der Schuldendienst wird so schnell zu einer erdrückenden Angelegenheit.

Zinserhöhungen der FED: Ein neuer Volcker-Schock für den Süden

Die globale Währungshierarchie mit dem Dollar an der Spitze erklärt die fragile Schuldensituation dieser Länder zumindest teilweise. Zehn Jahre lang war Geld billig zu haben, die extrem niedrigen Zinsen in den USA oder Europa machten auch risikoreichere Anlageklassen in Ländern des Globalen Südens für internationale Investoren interessant. Oft lieh man sich billig Geld in Industrieländern, um es dann gewinnbringend in periphere Staatsanleihen zu investieren. Die Gewinnspanne bei diesen Zinswetten war ausgesprochen vielversprechend. 2022 trat dann das ein, was als zweiter Volcker-Schock in die Geschichtsbücher eingehen könnte. Wie bereits 1979 unter dem damaligen Chef der US Notenbank Federal Reserve (FED), Paul Volcker, erhöht die FED seit März vergangenen Jahres sukzessive die Zinsen, um die Inflation in den USA zu bekämpfen.

Effekt dieser Zinserhöhung damals wie heute war eine massive Verteuerung der in harten Währungen ausgegebenen Schulden in Ländern des Globalen Südens. Es war der Beginn der Schuldenkrise in den 1980er Jahren, der Notkredite des Internationalen Währungsfonds und der sogenannten Strukturanpassungsprogramme – und damit der Beginn der „verlorenen Jahrzehnte“ der ökonomischen und sozialen Entwicklung für viele Länder des Globus. Vermutlich noch drastischer als damals fiel insbesondere 2022 der massive Abzug von Kapital aus den Ländern des Globalen Südens in den Dollar- und Euroraum aus, bis heute sind die Finanzinvestitionen ausgesprochen volatil. Durch die hohe „Liquidität“ von Staatsanleihen – unter anderem weil Anleihen international auf Finanzmärkten gehandelt werden können – werden Investoren ihre Schuldscheine schnell wieder los. Und jetzt, da die Zinsen höher sind, ist es wieder gewinnversprechend, Geld in den USA oder Europa anzulegen. Das abgewanderte Kapital fehlt den betroffenen Ländern nicht nur für die Grundfinanzierung ihres Haushalts und die Bedienung bestehender Schulden, es lässt vor allem auch die heimischen Währungen gegenüber Dollar und Euro in den Keller rauschen. Importe werden dadurch deutlich teurer.

Die fatalen Strukturanpassungsprogramme der 1980er Jahre

Die Strukturanpassungsprogramme als Reaktionen auf die letzte große Schuldenkrise in den 1980er Jahren und die Freihandelspolitik der vergangenen Jahrzehnte öffnete die Märkte der Länder des Globalen Südens für den Weltmarkt. Aufgrunddessen müssen diese bis heute viele essenzielle Produkte wie Lebensmittel, Medikamente, Dünger oder Maschinen importieren. Ließ der Krieg in der Ukraine die Preise für zentrale Güter ebenso in die Höhe schnellen wie die Inflation, legt nun die Abwertung der heimischen Währungen noch einmal eine ordentliche Schippe oben drauf. Die Bevölkerungen Ghanas oder Sri Lankas müssen heute mit einer Inflation von über 50 Prozent zurechtkommen, in Pakistan sind es 30 Prozent. Angesichts dessen sind die Reallohnverluste immens.

Um den weiteren Abzug der Finanzen zu stoppen und Anreize für Investoren zu schaffen, erhöhen die Zentralbanken des Globalen Südens ihrerseits ihre Zinsen – mit Leitzinsen von bis zu über 20 Prozent setzen sie damit aber auch heimischen Unternehmen ein Ende, die sich nicht wie große multilaterale Konzerne über harte Währung refinanzieren können.

In einer ungleichen Welt mit ihren ungleichen Währungen und gleichzeitig weit offenen Finanzsystemen und Warenmärkten führt monetaristische Inflationsbekämpfung in den USA und Europa zu dramatischer Inflation in den Gläubigerstaaten. Und während auf der einen Seite die Schulden wachsen, steigen auf der anderen die Einnahmen. Der private globale Reichtum nimmt immer weiter zu – und mit ihm die globale Ungleichheit.

Das reichste Prozent der Weltbevölkerung hat laut Oxfam seit der Covid-19-Pandemie rund zwei Drittel des weltweiten Vermögenszuwachses eingestrichen. Gleichzeitig hält die Lohnentwicklung in vielen Ländern bei weitem nicht mit der Inflation Schritt; jeder zehnte Mensch auf der Erde hungert.

Das Geld der Reichen und Wohlhabenden aber will „verwaltet“ – also angelegt werden, zusammen mit Geldern privater sozialer Absicherung – etwa der Rentenkassen. Jahrzehnte global niedriger Steuern für hohe Einkommen, Vermögen und Unternehmen sowie privatisierte Systeme sozialer Sicherung haben wesentlich zu einer Savings Glut, einer Sparschwemme beigetragen, die international nach gewinnbringenden Anlagemöglichkeiten sucht, darunter auch die öffentlichen Anleihen des Globalen Südens.

Durch ihren Fokus auf private Finanzinvestitionen gehen die SDG Hand in Hand mit Finanzspekulationen und einer Verschärfung der globalen Ungleichheit und konterkarieren sich damit selbst. Denn die von Investoren gewünschte Profitabilität passt nicht mit der Bereitstellung öffentlicher Dienstleistungen und sozialer Gleichheit zusammen. Krankenhäuser, Straßen und Schulen sind nur dann profitabel zu betreiben, wenn Nutzungsgebühren erhoben und damit die Zugänge für ärmere Bevölkerungsschichten erschwert oder verunmöglicht werden. Dafür aufgenommene Mikrokredite verschlimmern die Verschuldung privater Haushalte nur noch. Das Kriterium der Profitabilität widerspricht nicht nur dem Anspruch einer universellen öffentlichen Daseinsversorgung. Zusammen mit dem Anspruch nach Liquidität – also der Möglichkeit, Gelder schnell umschichten zu können – steht es auch einer langfristigen Entwicklungsplanung diametral entgegen. Denn um konkurrenzfähige Industrien aufzubauen, braucht es jahrzehntelange öffentliche Kredite zu niedrigen Zinsen, mit langen Laufzeiten und mit der Akzeptanz des Ausfallrisikos. Südkorea ist ein wichtiges Beispiel für diese Form der Industriepolitik und öffentlich regulierten Kreditvergabe. Entwicklungsplanung nach „Bankability“ oder „Marketability“ – zwei zentrale Stichworte der marktbasierten Entwicklungsfinanzierung – auszurichten, geht zudem zulasten einer gezielten Entwicklung von Regionen. Denn Straßenbau und Wasserrohre in ländlichen Gemeinschaften fallen nicht in diese Kategorie.

Die heutige Krise betrifft Staaten, private Haushalte und Unternehmen

Marktbasierte Entwicklungsfinanzierung geht auch Hand in Hand mit Maßnahmen des Staates, die Risiken für private Investoren zu minimieren, um diese anzulocken. Dazu gehören ökonomische Strukturreformen wie die Öffnung von Finanzsystemen und deren Ausrichtung auf marktbasierte Finanzierung. Wichtiger Bestandteil dieses de-risking state[6] sind auch vertraglich abgesicherte staatliche Garantien für den Fall nicht erfüllter Gewinnerwartungen privater Investoren – diese sorgen für ein weiteres Schuldenrisiko in den öffentlichen Budgets.

Im Vergleich zur letzten großen Schuldenkrise des Globalen Südens in den 1980er Jahren geht die heutige deutlich tiefer: Sie betrifft nicht nur Staaten, auch private Haushalte und Unternehmen sind stark verschuldet. Zudem ist die Struktur der Gläubiger durch den hohen Anteil marktbasierter Schulden sehr viel unübersichtlicher. In den 1980er Jahren waren für eine Umstrukturierung der Schulden einige große Privatbanken und westliche bilaterale sowie westlich dominierte internationale Finanzinstitutionen wie der IWF und die Weltbank zuständig. Entfielen auf die im sogenannten Paris Cluborganisierten westlichen Gläubiger im Jahr 2000 noch 55 Prozent der Schulden, so sind es 2021 nur noch 18 Prozent. Chinesische Kredite sind im gleichen Zeitraum von ein auf 15 Prozent angewachsen. Vor allem aber ist in den vergangenen beiden Dekaden der Anteil privater internationaler Anleihegläubiger von öffentlichen oder öffentlich garantierten Schulden bei Staaten mit geringem Einkommen oder „lower-middle income“ gestiegen, von zehn auf 50 Prozent – Tendenz steigend.[7] Neben Vermögensverwaltern wie Blackrock, Versicherungen wie der Allianz Global oder auch Pensionsfonds sind viele Anleiheeigner schlicht nicht bekannt. Umstrukturierungen der Schulden durch den Pariser Club und Notkredite des IWF sind für sie profitabel – denn diese garantieren, dass ihre Schulden weiter bedient werden. Spezialisierte Hedgefonds wetten gar auf durch Notkredite abgefederte Staatspleiten.[8]

Die Sustainable Development Goals konterkarieren sich selbst

Auch wenn es zu einer besseren Koordination westlicher und chinesischer staatlicher Gläubiger kommen sollte, ist in dem bestehenden System der marktbasierten Staatsfinanzierung keine auch nur kurzfristige Lösung in Sicht, die in irgendeiner Form einen Neustart für die verschuldeten Länder bedeuten könnte. Dies gilt auch für insbesondere von Deutschland vorangetriebene Initiativen zur Ausweitung der Schuldenmärkte in heimischer Währung. Diese vertiefen insbesondere die Privatisierung der Daseinsvorsorge, orientieren sich weiterhin an marktbasierter Entwicklungsplanung und lösen das Verschuldungsproblem nicht grundsätzlich. Auch bleibt die Gefahr der volatilen Investitionszyklen bestehen und die angestrebte Unabhängigkeit von Devisen kann mit ihnen nicht gewährleistet werden.[9]

Nichtregierungsorganisationen plädieren angesichts dessen für ein staatliches Insolvenzrecht oder auch für eine radikale Schuldenstreichung nach dem Vorbild des Londoner Schuldenabkommens für die deutschen Nachkriegsschulden. Das wären in der Tat wichtige Schritte, nicht zuletzt auch für die dringend notwendige Finanzierung von Klimaschutzprogrammen. Allerdings gingen selbst diese Maßnahmen nicht weit genug. In den Foren der internationalen Entwicklungszusammenarbeit wird das Mantra wiederholt, es gäbe eine große Finanzierungslücke zur Erfüllung der SDG. Doch spätestens wenn Staaten 70 Prozent ihres Steueraufkommens für den Schuldendienst aufbringen müssen – wie Ghana –, beißt sich die schuldenbasierte Entwicklungsfinanzierung in den eigenen Schwanz. Wären diese Steuern doch besser direkt in den Brückenbau oder die Krankenhausausstattung geflossen, oder in höhere Gehälter der Lehrer:innen oder der Beschäftigten im Gesundheitssektor.

Stoppt den Wertabfluss von Süd nach Nord

Bislang aber führt die Ungleichheit der globalen Ökonomie zu einem gigantischen Wertabfluss von Süd nach Nord. Darunter fällt nicht nur der immense Schuldendienst – der durch einen wirklichen Schuldenerlass in der Tat reduziert würde. Das historisch bedingte und durch Freihandel und Strukturanpassung verschärfte strukturelle Leistungsbilanzdefizit – also die Notwendigkeit, immer mehr Güter und Dienstleistungen zu importieren als zu exportieren – bedeutet auch eine strukturelle Unterfinanzierung öffentlicher Haushalte. Verschärft wird diese noch durch schwer zu kontrollierende Mauscheleien bei der Buchhaltung multinationaler Konzerne – insbesondere in der für den Globalen Süden so zentralen Rohstoffförderung – durch liberale Investitionsgesetze, die Gewinnrepatriierung[10] keine Schranken setzen, oder umfassende Steuererleichterungen, mit denen ausländische Direktinvestitionen angelockt werden sollen. Dieser strukturelle Mangel an eigentlich verfügbaren Finanzen ist eine zentrale Ursache der Schuldenkrise des Globalen Südens. Es bedarf daher Handels- und Investitionsregeln, die den Aufbau heimischer diversifizierter Ökonomien ermöglichen, sie damit krisenresistenter machen und den Wertabfluss stoppen. Dafür braucht es nicht mehr privates, marktbasiert gesteuertes Geld, das nach Profitabilität, Liquidität und offenen (Finanz-)Märkten ruft. Nötig sind vielmehr öffentliche Finanzsysteme, die langfristige, an gesellschaftlichen Zielen orientierte Kredite vergeben und so einen wesentlichen Beitrag für mehr globale Gleichheit leisten.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist mit der KfW global führend bei der Etablierung der martkbasierten Entwicklungsfinanzierung.[11] Alle prominenten Projekte Deutschlands und der EU bauen auf dieser Form der Finanzierung auf – vom Compact with Africa bis zur Global Gateway Initiative. Mit diesen marktbasierten Initiativen gießen sie aber weiter Öl in das Feuer der Schuldenkrise. Auch in der deutschen Entwicklungspolitik braucht es daher dringend eine radikale Umkehr hin zu einer stärkeren Förderung diversifizierterer Ökonomien, die den Wertabfluss von Süd nach Nord unterbinden und so die entsprechende steuerfinanzierte Grundlage für nachhaltige Entwicklung sicherstellen.

[1] Zur Übersicht der Gläubigerstruktur einzelner verschuldeter Länder vgl. Erlassjahr.de und Misereor (Hg.), Schuldenreport 2023, Aachen und Düsseldorf, 30.3.2023, S. 28.

[2] Zur Übersicht der Diskussion vgl. Frauke Banse, Franziska Müller, Anil Shah und Aram Ziai (Hg.), Finanzialisierung und Entwicklungspolitik, „Peripherie“, 2/2021.

[3] Jonathan Wheatley, IMF bailouts hit record high as global economic outlook worsens, in: „Financial Times“, 25.9.2022.

[4] Vgl. Sighard Neckel, Zerstörerischer Reichtum. Wie eine globale Verschmutzerelite das Klima ruiniert, in: „Blätter“, 4/2023, S. 47-56.

[5] Nicht nur Zentralregierungen nehmen Schulden auf, sondern auch öffentliche Unternehmen oder lokale Regierungen. Zudem gibt es etwa über Verträge für Public Private Partnership zahlreiche Risikogarantien durch den Staat. Wie hoch die öffentlichen Schulden tatsächlich sind, ist deswegen nur ungefähr bekannt. Die tatsächliche Verschuldung kann noch deutlich höher ausfallen.

[6] Daniela Gabor, The Wall Street Consensus, in: „Development and Change“, 3/2021, S. 429-459.

[7] Martin Wolf, We must tackle the looming global debt crisis before it’s too late, in: „Financial Times“, 17.1.2023.

[8] Zur Absicherung der Profite bei Anleiheinvestitionen im Globalen Süden vgl. Shaina Potts, Deep Finance: Sovereign Debt Crises and the Secondary Market ‚Fix‘, in: „Economy and Society”, 3-4/2017, S. 452-475.

[9] Vgl. Frauke Banse, Der „globale Pool privaten Geldes“ in Afrika. Anleihemärkte in lokaler Währung und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit, in: „Peripherie“, 2/2021, S. 251-274.

[10] Also die Rückholung von Gewinnen der Auslands(tochter)gesellschaften eines Unternehmens in das inländische Stammhaus.

[11] Peter Volberding, Leveraging Financial Markets for Development. How KfW Revolutionized Development Finance, Basingstoke 2021.

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