Ausgabe Juni 2023

Grün als Bedrohung: Warum die Klimapolitik die Arbeiter verliert

Opel-Mitarbeiter in Eisenach, 4.5.2009 (IMAGO / photothek / Thomas Trutschel)

Bild: Opel-Mitarbeiter in Eisenach, 4.5.2009 (IMAGO / photothek / Thomas Trutschel)

In der April-Ausgabe analysierte der Soziologe Sighard Neckel, wie der Reichtum einer globalen Verschmutzerelite das Klima ruiniert. An die Gerechtigkeitsfrage anknüpfend beleuchtet sein Kollege Klaus Dörre, inwieweit der persönliche Klimafußabdruck von der jeweiligen Klassen- position abhängt und welche Resonanz die deutsche Klimapolitik in der Arbeiterschaft hervorruft.

Auf die Frage, wie er die Klimabewegung einschätze, antwortet ein Arbeiter und angehender Vertrauensmann der IG Metall: „Als gefährlich!“ Gefährlich, weil sie die dem Befragten eigene Vorstellung eines guten Lebens bedrohen – und so in eine harte Ablehnung ökologischer Politik umschlagen könne, wie wir sie momentan auch zum Beispiel in der Debatte um die Wärmepumpen erleben. Daran zeigt sich: Ohne eine echte Auseinandersetzung über Klimagerechtigkeit – und wie diese herzustellen sei – wird die Klimakrise nicht zu bewältigen sein.

Als demokratischen Klassenkampf hatte einst Ralf Dahrendorf tariflich und arbeitsrechtlich geregelte Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Arbeit bezeichnet. Den institutionalisierten Kampf um die Verteilung des gesellschaftlich erzeugten Mehrprodukts von Arbeit gibt es noch immer. Doch mit Blick auf Klimawandel, Artensterben und Ressourcenknappheit hatte er, so schien es, seine gesellschaftsprägende Kraft mehr und mehr verloren. „Not ist hierarchisch, Smog demokratisch“, hieß es vor jetzt bald 40 Jahren in Ulrich Becks „Risikogesellschaft“, sprich: Unter der Klimakrise leiden alle gleichermaßen. Doch das war schon damals eine Fehlannahme.[1]

Gewiss, ökologische Großgefahren wie die des Klimawandels betreffen alle, aber eben nicht in gleicher Weise und sie machen auch nicht alle gleich. Im Gegenteil: In Gesellschaften, in denen der demokratische Klassenkampf öffentlich marginalisiert wird, kann sich, so meine These, der ökologische Gesellschaftskonflikt in einen Modus ideologischer Beherrschung verwandeln – und zwar gerade, wenn auch nicht nur, der ökonomisch Schwachen. In Klassenlagen, die von den Zwängen des Lohns und der Lohnarbeit geprägt werden, löst das massive Widerständigkeiten aus, die als gewaltiger Bremsklotz für Nachhaltigkeit wirken und letztlich populistischen, antiökologischen Bewegungen Auftrieb verleihen.

Nehmen wir dafür ein Beispiel aus unseren laufenden Erhebungen in der Auto- und Zulieferindustrie, nämlich den oben bereits erwähnten Arbeiter, der die Klimabewegung als gefährlich einschätzt. Er bezeichnet sich selbst als „Autonarr“, der große Freude dabei empfindet, seinen PKW auf „weit über 220 km/h zu tunen“, um auf der Autobahn Teslas zu jagen, bis diese „mit überhitztem Motor von der Spur müssen“. Sein Hobby kann er sich leisten, weil er bei Opel arbeitet. Das heißt für einen Beschäftigten, der in Gotha lebt: um 3:20 Uhr aufstehen, damit pünktlich zur Frühschicht um 5:30 Uhr gearbeitet werden kann; Tätigkeit in 50-Sekunden-Takten; die Arbeitszeit unterbrochen von zwei Neun-Minuten-Pausen und einer 23-Minuten-Mittagspause; eine Stunde vor der Mittagspause „ist man platt“.[2]

Warum ist der Befragte bereit, diese monotone, körperlich enorm belastende Arbeit jeden Tag auszuführen? Er nennt dafür drei Gründe – 3800 Euro brutto, für Arbeiter in Thüringen ein Spitzenverdienst; Kolleginnen und Kollegen, die für ihn „wie eine Familie“ sind und schließlich der Schutz durch einen Tarifvertrag und einen starken Betriebsrat – also aufgrund von Sozialeigentum, das im Osten der Republik alles andere als selbstverständlich ist. Kurzum: Die Zwänge des Arbeitslebens nimmt der Befragte letztlich vor allem deshalb in Kauf, um in seiner Freizeit, wie er sagt, wirklich frei zu sein. Wie er lebt, was er nach der Arbeit macht, will er sich unter keinen Umständen vorschreiben lassen. Und das schon gar nicht von Leuten mit privilegiertem Klassenstatus, die von „Bandarbeit nichts wissen“, sich aber moralisch überlegen fühlen. Das ist der Grund, weshalb der angehende Vertrauensmann die Klimabewegung und vor allem die grüne Partei als Gegner betrachtet.

Hinzu kommt: Angehörige der Arbeiterklasse nehmen sich selbst häufig als – mehrfach abgewertete – Statusgruppe wahr. Arbeiter wird man nur, wenn man es muss; wer kann, „studiert oder geht ins Büro“. Lebt man im Osten, auf dem Land und ist ein Mann, wird die Abwertung und öffentliche Nichtbeachtung der eigenen Lebensweise umso schmerzlicher erfahren.

»Hauptursache für die steigende Emissionslast sind die Investitionen und nicht der individuelle Konsum.«

All das sind Gründe dafür, weshalb die imaginäre Revolte einer radikalen Rechten, die den Klimawandel leugnet oder stark relativiert, mit ihrer fiktiven Aufwertung des Lebens „normaler“ Arbeiter sich inzwischen selbst bei Gewerkschaftsmitgliedern Gehör verschaffen kann. Man rebelliert dabei gegen einen Modus ideologischer Beherrschung, der sich in unterschiedlichen Facetten in zahlreichen Segmenten der neuen Arbeitswelt findet.

Dabei sind, wie unsere Untersuchungen ebenfalls belegen, Klimawandel, Artensterben und andere ökologische Großgefahren selbst in den untersten Klassensegmenten subjektiv durchaus relevant. Allerdings – und das ist das zentrale Problem – verschwindet die soziale Dimension von Nachhaltigkeit im öffentlichen Diskurs fast völlig.

Dabei hängt der persönliche Klimafußabdruck eindeutig von der jeweiligen Klassenposition ab, wie Lucas Chancel in seiner jüngsten Untersuchung über soziale Ungleichheit und klimaschädliche Emissionen gezeigt hat. Die Emissionen der ärmeren Bevölkerungshälfte in Europa und Nordamerika sind zwischen 1990 und 2019 um mehr als ein Viertel zurückgegangen, während sie in den (semi-)peripheren Ländern im gleichen Ausmaß zugenommen haben. Das heißt, die untere Hälfte der Einkommens-/Vermögensgruppen in Europa und Nordamerika hat Werte erreicht, die sich denen der Pariser Klimaziele für 2030 mit einer jährlichen Pro-Kopf-Emissionslast von etwa zehn Tonnen in den USA und etwa fünf Tonnen in europäischen Ländern zumindest annähern oder diese gar erreichen. Die wohlhabendsten ein Prozent emittierten 2019 hingegen 26 Prozent mehr als vor 30 Jahren, die reichsten 0,01 Prozent legten gar um 80 Prozent zu.[3]

Hauptursache für die steigende Emissionslast sind dabei die Investitionen und nicht der individuelle Konsum.[4] Zugespitzt formuliert bedeutet dies, dass Produktions- und Investitionsentscheidungen in der Regel nur von Mitgliedern herrschender Klassenfraktionen, also von winzigen Minderheiten getroffen werden (nach unserer Heuristik 1,2 Prozent). Diese Entscheidungen beeinträchtigen jedoch das (Über-)Leben vor allem derjenigen Klassen, die zum Klimawandel am wenigsten beitragen und die unter den Folgen der Erderhitzung am stärksten leiden.

Die Autoindustrie liefert dafür glänzendes Anschauungsmaterial. So haben die in der Bundesrepublik ansässigen Endhersteller im Herbst 2022 trotz Inflation, Chipmangel und gestörter Lieferketten ein „Traumquartal“ erlebt. Ihre Gewinne machten sie hauptsächlich mit hochpreisigen, spritfressenden bzw. energieintensiven Luxuslimousinen und SUVs. Preissteigerungen können in diesem Segment problemlos an die Kunden weitergegeben werden. Da die Großgruppe der Reichen und Superreichen künftig noch wachse, sei es eine herausragende Leistung der deutschen Automobilhersteller, in diesem Bereich die Spitzenposition zu besetzten; so würden Arbeitsplätze gesichert, argumentiert das Vorstandsmitglied eines großen Endherstellers im Interview.

Die Realerfahrung vieler Beschäftigter in den Karbonbranchen ist jedoch eine völlig andere. Bereits jetzt gehen Arbeitsplätze in erheblichem Ausmaß verloren. Allein die Umstellung auf E-Motoren könnte in Deutschland mehr als 250 000 Jobs kosten. Ob neue Arbeitsplätze, die es in diesem Bereich zweifellos auch geben wird, hierzulande entstehen, ist hingegen eine offene Frage.

Während die USA und China längst dazu übergegangen sind, die Transformation mit staatlichen Geldern zu subventionieren, setzt man in der Bundesrepublik und in EU-Europa noch immer bevorzugt auf den Markt. Es hat sich jedoch gezeigt, dass „Kohlenstoffsteuern einkommensschwache und emissionsarme Gruppen unverhältnismäßig stark belasten, während das Kohlenstoffpreissignal für hohe und reiche Emittenten möglicherweise zu niedrig ist, um Änderungen der Verbrauchs- (oder Investitions-)muster bei wohlhabenden Personen zu bewirken“.[5] Kann es da wirklich verwundern, wenn viele Angehörige der unteren Klassen die Transformation in erster Linie als Bedrohung erleben?

»Ein ökologisches Zukunftsbewusstsein kann nur entstehen, sofern zumindest ein Minimum an Arbeitsplatz- und Einkommenssicherheit gegeben ist.«

Im fest angestellten Teil der konventionellen Arbeitsklasse fürchtet man unter den Bedingungen von Fach- und Arbeitskräftemangel dagegen weniger Erwerbslosigkeit als drohenden Statusverlust. Würde man aus der Belegschaft beispielsweise des VW-Komponentenwerks Baunatal (17 000 Beschäftigte, bis zu 8000 Arbeitsplätze könnten mit E-Antrieben verschwinden) ausscheiden, wäre ein deutlich schlechter bezahlter Job mit weitaus geringerer Anerkennung in einem Dienstleistungssegment die wahrscheinliche Alternative. In Baunatal fürchtet dennoch kein Mitglied der Stammbelegschaft die Transformation, denn es gibt langfristige Beschäftigungsgarantien. Der Wandel wird sich, da sind sich alle Befragten sicher, sozialverträglich vollziehen. Das ist in vergleichbaren Werken, Unternehmen und Branchen deutlich anders. Vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen mangelt es an Entscheidungsmacht und strategischer Kompetenz, um den Wandel planvoll anzugehen.

Was das bedeutet, wird in der Unterklasse und den Exklusionsbereichen besonders deutlich. Die subjektive Relevanz von ökologischen Nachhaltigkeitszielen setzt ein in die Zukunft gerichtetes Bewusstsein voraus. Ein Zukunftsbewusstsein kann aber nur entstehen, sofern zumindest ein Minimum an Arbeitsplatz- und Einkommenssicherheit gegeben ist, denn erst eine „feste Arbeitsstelle und ein regelmäßiges Einkommen mit dem ganzen Ensemble an Versicherungen auf die Zukunft verschaffen den Zugang zu dem, was man Schwelle der Sicherheit nennen könnte“.[6] Armut und Prekarität behindern die Herausbildung eines Zukunftsbewusstseins und sie schwächen zugleich die subjektive Bedeutung vor allem ökologischer Nachhaltigkeitsziele für die eigene Lebensführung. Die wachsende Zahl Bedürftiger an den Tafeln verdeutlicht, wovon die Rede ist. Ein Bewusstsein über Klimawandel und ökologische Großgefahren ist auch in diesen Klassensegmenten vorhanden, besitzt aber keinerlei lebenspraktische Relevanz. Wer nur von einem Tag auf den anderen planen kann, muss sich um die Zukunft der Gesellschaft keine Sorgen machen, zumal Gesellschaft ein Begriff ist, der in den Alltagsphilosophien der auf Fürsorgeleistungen Angewiesenen gar nicht vorkommt.

»Es geht um die Vision und mehr noch um erste Schritte in Richtung eines ökologischen Sozialstaates.«

Ändern lässt sich all das nur, wenn eine soziale Infrastruktur geschaffen wird, die der so dringend nötigen Nachhaltigkeitswende Schubkraft verleiht. Dabei geht es um sehr viel mehr als um ein wenig zusätzliches Bürgergeld hier und ein bisschen höhere Renten dort, wenngleich auch solche Maßnahmen keineswegs überflüssig sind. Gesellschaften funktionieren am besten mit einer gut ausgebauten Nahversorgung und Daseinsvorsorge, die allen zur Verfügung steht. 

Kurzum: Es geht um die Vision und mehr noch um erste Schritte in Richtung eines ökologischen Sozialstaates, der die Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge stärkt, sie vom Zwang zu raschem, permanentem Wachstum entkoppelt, der Abwertungsstrategien mittels Aufwertung billiger Sorgeleistungen und Reproduktionstätigkeiten durchbricht und denen zu einer Stimme verhilft, die mit ihren basalen Interessen in der Öffentlichkeit kaum Gehör finden. Ein ökologischer Wohlfahrtsstaat ist ein Übergangsprojekt, das auch in Klassenfraktionen mehrheitsfähig werden könnte, die mit System Change oder nachhaltigem Sozialismus vorerst wenig anfangen können. Am bewussten Ringen um eine Demokratisierung von Entscheidungsmacht über Investitionen, Produkte und Produktionsverfahren als keineswegs hinreichender, aber dringend nötiger politischer Perspektive wird sich zeigen, ob ein solches Projekt eine Erfolgschance besitzt.

[1] Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt a. M. 1986.

[2] Siehe die Erhebungen vertiefend Klaus Dörre, Transformationskonflikte: Der ökologische Wohlfahrtsstaat als nachhaltige Vision, DIFISSozialpolitikblog, 6.4.2023 (www.difis. org/blog). Dort findet sich auch die Klassenheuristik samt Zuordnungskriterien.

[3] Zu den Daten: Lucas Chancel, Global Carbon Inequality over 1990–2019, in: „Nature Sustainability“, 5/2022, S. 931–938.

[4]  Ebd., siehe auch Sighard Neckel, Zerstörerischer Reichtum. Wie eine globale Verschmutzerelite das Klima ruiniert, in: „Blätter“, 4/2023, S. 47-56.

[5] Lucas Chancel, a.a.O.

[6] Pierre Bourdieu, Die zwei Gesichter der Arbeit. Interdependenzen von Zeit- und Wirtschaftsstrukturen am Beispiel einer Ethnologie der algerischen Übergangsgesellschaft, Konstanz 2000, S. 92.

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