Mit den Bundestagswahlen 1998 ist in Deutschland zum ersten Mal die Linke in freien Wahlen an die Macht gekommen. Anders als zu Zeiten der sozialliberalen Koalition, anders auch als in den ersten Regierungen der Weimarer Republik regiert die Linke diesmal ohne bürgerliche Koalitionspartner - zumindest was ihr politisches Selbstverständnis, nicht was ihre objektive soziale Zusammensetzung betrifft. Mit den Koalitionsverhandlungen ist zunächst und vielleicht nur für kurze Zeit jener Bruch geheilt worden, der sich in den siebziger Jahren zwischen SPD, Neuer Linker und Neuen Sozialen Bewegungen aufgetan hat. Auch an dieser Regierungsbildung bewährt sich die soziologische Erkenntnis von der integrierenden Kraft des sozialen Konflikts. Bündnis 90/Die Grünen sind so sehr das auch ihrem subjektiven Befinden widersprechen mag mit diesem Koalitionsvertrag als ökologische, pazifistische und feministische Partei gestorben, um als linksliberale Funktionspartei nach dem Muster der niederländischen D66, die ebenfalls der Neuen Linken entsprang, wiederaufzuerstehen. Die Niederlagen bei der Ökosteuer und dem Atomausstieg beweisen dies ebenso eindrücklich, wie das Hinnehmen von Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen diesen Prozeß besiegelt hat.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.