Ausgabe März 2000

Wie ich lernte, die Börse zu lieben

Oder: Die Neuerschaffung der Welt im dritten Jahrtausend

Wenn Frau Martha Kunze in Schmachtenhagen wissen will, ob sie die Wäsche raushängen kann oder ob es heute wohl regnen wird, und die 8-Uhr-Nachrichten im Radio anstellt, so erfährt sie vor dem Wetterbericht erst einmal, wie in Tokio gerade der Nikkei-Index steht. Frau Kunze besitzt ebensowenig japanische Aktien wie wohl andere 99,8 Prozent der Hörer. Und diejenigen in Deutschland, die am Nikkei hängen, sind ohnehin auf Knopfdruck mit den Weltbörsen online. Das ist symbolische Information und pädagogische Nachrichtengebung. Die Leute erfahren nicht, was sie interessiert, sondern was sie interessieren sollte. Das waren einst in dunkleren Zeiten die stereotypen Phrasen oder Scheininformationen aus Führerhauptquartier und Politbüro. Heute in der lichtvollen Epoche der Globalisierung sind es die Indizes der Finanzmärkte. Denn jede Gesellschaft braucht Idole. Sie braucht Typen, mit denen man sich voller verstiegener Hoffnung identifiziert. Und der Leittypus dieser ultra-dynamischen durchamerikanisierten Epoche ist der Yuppie, und zwar derjenige Young Urban Professional, der sein schnelles Geld mit cleveren oder glückhaften Spekulationen macht oder als Dienstleister der Finanzbranche hochbezahlt das Geld der Kundschaft mehrt oder kunstreich in den Sand setzt. Selbstverständlich dient diese hochgezüchtete Spekulationsbegeisterung dem Gemeinwohl.

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Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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