Ausgabe Juni 2008

Zukunft oder Vergangenheit

Die Vereinigten Staaten vor der Wahl

Unser kürzlich verstorbener Nationalprophet, Norman Mailer, hat einmal gesagt, der Charakter des Präsidenten bestimme die gesamte Kultur des Landes. Das trifft gewiss zu, aber umgekehrt spiegeln sich in der Auswahl des jeweiligen Präsidenten auch die Tiefenschichten der nationalen Psyche. Die außerordentliche Personalisierung unserer Präsidentschaftswahlkämpfe, die Aufmerksamkeit, die Charakter und Lebensgeschichte der Kandidatinnen und Kandidaten und ihren Familien gezollt wird, das alles läuft nicht selten auf eine Flucht vor der ernsthaften politischen Auseinandersetzung hinaus – wie insbesondere die jüngste Vergangenheit gezeigt hat.

Als der sowohl intellektuell wie moralisch schwache augenblickliche Amtsinhaber gegen zwei weitaus seriösere Kandidaten – erst Al Gore und dann John Kerry – kämpfte, rühmten ihn prominente Kommentatoren als einen Kerl, mit dem man Bier trinken gehen könne. In der Tat: George W. Bush hatte zwar die Elite-Uni Yale besucht, stand aber nicht in dem Verdacht, dort viel Zeit in der Bibliothek verbracht zu haben. Gore und Kerry hingegen verfügten über die beunruhigende Fähigkeit, mit komplexen Begriffen und Sätzen umzugehen.

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In der Oktober-Ausgabe wertet Seyla Benhabib das ungehemmte Agieren der israelischen Regierung in Gaza als Ausdruck einer neuen Ära der Straflosigkeit. Eva Illouz ergründet, warum ein Teil der progressiven Linken auf das Hamas-Massaker mit Gleichgültigkeit reagiert hat. Wolfgang Kraushaar analysiert, wie sich Gaza in eine derart mörderische Sackgasse verwandeln konnte und die Israelsolidarität hierzulande vielerorts ihren Kompass verloren hat. Anna Jikhareva erklärt, warum die Mehrheit der Ukrainer trotz dreieinhalb Jahren Vollinvasion nicht zur Kapitulation bereit ist. Jan Eijking fordert im 80. Jubiläumsjahr der Vereinten Nationen mutige Reformen zu deren Stärkung – gegen den drohenden Bedeutungsverlust. Bernd Greiner spürt den Ursprüngen des Trumpismus nach und warnt vor dessen Fortbestehen, auch ohne Trump. Andreas Fisahn sieht in den USA einen „Vampirkapitalismus“ heraufziehen. Und Johannes Geck zeigt, wie rechte und islamistische Rapper Menschenverachtung konsumierbar machen.

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