Ausgabe Mai 1991

Und morgen sind wir alle gleich

Innerhalb von zwei Monaten sind nacheinander und zuweilen durcheinander die drei höchsten Repräsentanten des deutschen Staates zum Rücktritt aufgefordert worden. Die Gründe sind bei Weizsäcker (Berlin), Süssmuth (Auto) und Kohl (Lüge) nur dem äußeren Anschein nach verschieden. Die Koinzidenz verweist auf den gemeinsamen Grund: Es ist Krise. Und die erschöpft sich sicher nicht in den w i r t s c h a f tl i c h e n Problemen im neuen Osten der Republik. Zur ökonomischen gesellt sich die politische Krise.

Denn wenn die Spitze der Kritik von der Opposition an der Regierung und der Regierung an der Opposition darin besteht, daß die Erholungsurlaube ihrer jeweiligen Hauptdarsteller zu lang gewesen seien, dann haben sich die Parteien über ihre gemeinsame politische Konzeptionslosigkeit offenbar schon geeinigt. Darum schwankt man nur noch zwischen den Möglichkeiten hin und her, die Politikdarstellung durch Zusammenlegung aller kämpfenden Truppen zu verbessern oder aber in der Mitte der Legislaturperiode die eine Profispielschar gegen die andere auszutauschen. Von beiden Möglichkeiten hat das Publikum speziell das östliche - nicht viel zu erwarten.

Ob man nun weiter Helmut Kohl beschimpfen muß oder bald gegen die Pfeife mit dem Mann demonstrieren darf, bleibt sich ziemlich gleich. Politische und ökonomische Krise allein wären ja vielleicht noch verkraftbar.

Mai 1991

Sie haben etwa 11% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 89% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe Dezember 2025

In der Dezember-Ausgabe ergründet Thomas Assheuer, was die völkische Rechte mit der Silicon-Valley-Elite verbindet, und erkennt in Ernst Jünger, einem Vordenker des historischen Faschismus, auch einen Stichwortgeber der Cyberlibertären. Ob in den USA, Russland, China oder Europa: Überall bilden Antifeminismus, Queerphobie und die selektive Geburtenförderung wichtige Bausteine faschistischer Biopolitik, argumentiert Christa Wichterich. Friederike Otto wiederum erläutert, warum wir trotz der schwachen Ergebnisse der UN-Klimakonferenz nicht in Ohnmacht verfallen dürfen und die Narrative des fossilistischen Kolonialismus herausfordern müssen. Hannes Einsporn warnt angesichts weltweit hoher Flüchtlingszahlen und immer restriktiverer Migrationspolitiken vor einem Kollaps des globalen Flüchtlingsschutzes. Und die Sozialwissenschaftler Tim Engartner und Daniel von Orloff zeigen mit Blick auf Großbritannien und die Schweiz, wie wir dem Bahndesaster entkommen könnten – nämlich mit einer gemeinwohlorientierten Bürgerbahn. 

Zur Ausgabe Probeabo