Ausgabe November 1993

Spionage deutsch-deutsch

Mit der Enttarnung zahlreicher westlicher Ostspione ist wieder einmal die alte Doppelfrage aufgeworfen, warum man Spion wird und was der Spion bewirken will und kann. Sie führt sowohl in den menschlichen als auch in den ironischen Bezirk aller Spioniererei. Im Zweiten Weltkrieg etwa meldete der deutsche Spion Richard Sorge, als ein in der Wolle gefärbter Kommunist ein echter Überzeugungstäter, exakte Einzelheiten über den bevorstehenden Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion einschließlich des richtigen Datums nach Moskau.

Doch bewirkte er nichts, denn Stalin nahm die Meldung nicht ernst. Besondere Bedeutung gewinnt die Doppelfrage in der singulären deutsch-deutschen Spionagesituation. Im allgemeinen gilt Spionage für den, der sie in der Hoffnung betreiben läßt, daß sie seinem Gegner schadet, als anständig, für den, der zum Nutzen seines Gegners ausspioniert wird, als verwerflich. Entsprechend gilt der Spion entweder als heldenhaft oder als schurkisch. Die so tradierte Schwarz-Weiß-Zeichnung vermittelt den Spion immer nur als nützliches oder schädliches Funktionswesen. Seine persönlichen Überlegungen, Ideale, Motive und Überzeugungen zählen nicht.

November 1993

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