Ausgabe September 1996

Mehrwertsteuer im Sommerloch

Im Streit um die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer offenbart sich ein neuer Grad der Chaotisierung des bundesdeutschen Steuersystems. Die Regierungsparteien streiten sich noch über den richtigen Zeitpunkt. Doch die Anhebung ist grundsätzlich abzulehnen:

1. Konjunkturell führt sie zu einer weiteren Belastung des privaten Konsums. Im Prinzip wird durch den Vorsteuerabzug die Mehrwertsteuer auf die Preise des Endverbrauchs umgewälzt. Bei einer Erhöhung des Normalsteuersatzes um einen Prozentpunkt nimmt der Preisindex der Lebenshaltung um ca. 0,8% zu. Damit wird das Ziel, die Geldwertstabilität zu sichern, gefährdet.

2. Durch die Erhöhung des normalen Mehrwertsteuersatzes sinkt ab einem monatlichen verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte in Höhe von ca. 6 000 DM die relative Belastung, weil der Anteil der Konsumausgaben zugunsten der Vermögensbildung zurückgeht. Die Tatsache, daß existenznotwendige Güter und Dienstleistungen überhaupt nicht bzw. mit 7% besteuert werden (Nullbesteuerung etwa ärztlicher Dienstleistungen, 7% bei Lebensmitteln und Büchern), wirkt allerdings bei unteren Einkommensgruppen der Belastung des nahezu ausschließlich für Konsumzwecke genutzten Einkommens entgegen.

3.

September 1996

Sie haben etwa 36% des Textes gelesen. Um die verbleibenden 64% zu lesen, haben Sie die folgenden Möglichkeiten:

Artikel kaufen (1€)
Digitalausgabe kaufen (10€)
Anmelden

Aktuelle Ausgabe September 2025

In der September-Ausgabe plädiert Lea Ypi für eine Migrationsdebatte im Sinne der Aufklärungsphilosophie. Cinzia Sciuto fordert, der zunehmenden Aushöhlung des Völkerrechts mit einer entschiedenen Verteidigung desselben zu begegnen – und nicht mit Resignation und falschem Realismus. Für Georg Diez markieren die Kriegsverbrechen in Gaza und die fehlenden Reaktionen darauf einen Epochenbruch; sie stünden für nicht weniger als den Verrat des Westens an der Humanität. Herfried Münkler analysiert, wie Kriege historisch endeten und Friedenszeiten begannen und was das mit Blick auf den Ukrainekrieg bedeutet. Simone Schlindwein deckt auf, wie Russland junge Afrikanerinnen mit falschen Versprechen für die Kriegswirtschaft rekrutiert. Warum die grüne Digitalisierung ein Mythos ist und was der KI-Boom den Globalen Süden kostet, erläutern Ingo Dachwitz und Sven Hilbig. Und Eva-Maria Klinkisch sowie Markus Rieger-Ladich zeigen auf, wie Long Covid-Betroffene von der Gesellschaft und dem Gesundheitssystem systematisch ignoriert werden – und was dagegen zu tun ist. 

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Mythos grüne Digitalisierung

von Ingo Dachwitz, Sven Hilbig

Der Klang der Zukunft ist ein leises, elektrisches Dröhnen, das in den Knochen vibriert. Hier im Rechenzentrum herrscht niemals Stille. Es ist erfüllt von einem monotonen Chor mechanischer Flüstertöne.