Unter in Deutschland lebenden Juden ist die Identitätsfrage nach wie vor anhängig. Will man sich als "jüdischer Deutscher", "deutsche Jüdin" oder als "Juden in Deutschland" verstehen? Während "jüdischer Deutscher" nach wie vor an die gescheiterten Assimilationsversuche von Kaiserreich und Weimar erinnert, assoziiert man zu "deutsche Jüdin" gerne das so genannte kulturelle Symbioseprojekt, das Gerschom Scholem schon vor Jahren für gescheitert erklärte. "Juden in Deutschland" hingegen scheint sowohl der realen Lage als auch dem Selbstverständnis der hiesigen Juden am ehesten zu entsprechen. Von den etwa einer halben Million vor dem Krieg in Deutschland lebenden Juden hatten nach der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland etwa 20 000 überlebt, weitere 250 000 meist polnische Juden waren von der SS aus den östlichen Konzentrationslagern nach Westen getrieben worden und wurden hier von den Allierten befreit. Die Wiedergründung der Gemeinden, die von wenigen überlebenden deutschen Juden und den in Deutschland hängen gebliebenen displaced persons oft genug nur technisch, als Gründung sog. "Liquidationsgemeinden" betrieben wurde, vermochte weder zu einem ungebrochenen Selbstverständnis noch gar zu einem gedeihlichen Sozialleben zu führen.
In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.