Öffentliche Soziologie und die Suche nach der besseren Gesellschaft
Vor einiger Zeit haben die Soziologen Immanuel Wallerstein, Michael Mann, Randal Collins, Georgi Derlugian und Craig Calhoun einen „Weckruf an die Sozialwissenschaften“ verfasst.[1] Anlass dafür war die globale Krise von 2008/2009 mit ihren dramatischen Auswirkungen. Wallerstein und Collins deuten diese Zäsur als Vorspiel für den unumkehrbaren Niedergang des gesamten kapitalistischen Weltsystems. Eine große Systemkrise erwarten die beiden Autoren in der Zeit zwischen 2030 und 2050. Mann und Calhoun widersprechen mit sehr guten Argumenten, halten eine Revitalisierung des Kapitalismus für möglich, wissen sich mit ihren Kontrahenten aber darin einig, dass die im Gange befindlichen gesellschaftlichen Transformationen geradezu nach soziologischer Intervention schreien.
Kontroversen um eine Krise epochalen Ausmaßes sind in der Tat eine Steilvorlage für die „Krisenwissenschaft“ Soziologie, so könnte man meinen. Doch sieht man von prominenten Ausnahmen wie etwa Wolfgang Streeck ab,[2] besteht die Gefahr, dass der Weckruf hierzulande ungehört verhallt. Für die professionelle, die pragmatisch-beratungsorientierte und die gesellschaftskritische Soziologie gilt diese Feststellung in unterschiedlicher Weise. Die Standardsoziologie – ich meine das keineswegs abwertend, denn wie jede andere Wissenschaft basiert auch die Soziologie auf unhintergehbaren Standards – kennt viele Krisen.