Die Ereignisse seit Beginn der Eurokrise haben manche Annahme über die Europäische Union radikal in Frage gestellt. Gewiss, trotz der schärfer gewordenen Konflikte zwischen den EU-Mitgliedstaaten besteht weiter keine Kriegsgefahr innerhalb Europas. Krieg ist aber, wie wir seit Clausewitz wissen, lediglich ein Mittel der internationalen Politik. Man hatte jedoch vermutet, dass die EU die internationalen Beziehungen in Europa nicht nur durch die Abschaffung des Krieges, sondern in noch weit tieferem Sinne verwandelt habe. So behauptete Joschka Fischer in seiner berühmten Berliner Humboldt-Rede im Jahr 2000: „Der Kern des Europagedankens nach 1945 war und ist [...] die Absage an das Prinzip der balance of power, des europäischen Gleichgewichtssystems und des Hegemonialstrebens einzelner Staaten, wie es nach dem Westfälischen Frieden von 1648 entstanden war“.[1]
Doch seit den letzten fünf Jahren sehen immer mehr Beobachter in Deutschland einen tatsächlichen oder potentiellen Hegemon.[2] Das ist insofern irritierend, als die europäische Integration von Anfang an als ein Weg konzipiert wurde, die deutsche Macht zu beschränken – ursprünglich die vielleicht „wichtigste Triebkraft hinter der europäischen Integration“.[3] Somit hätte die EU, wäre Deutschland heute ein europäischer Hegemon, eindeutig versagt.