Ausgabe September 2021

Alle oder keiner

Warum wir von der nationalen Immunität zur globalen Kommunität gelangen müssen

Nur selten erlebt ein Autor, wie etwas, das er einmal in einem Buch vertreten hat, fast zwanzig Jahre später Realität wird und dabei alle Prognosen übersteigt. So geschah es mit Immunitas. Es versteht sich von selbst, dass ich das ohne jede Genugtuung sage, deckt sich doch diese „Realisierung“ mit der schwersten weltumspannenden Krise seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Tatsache ist jedoch, dass diese Krise eindeutig unter dem Zeichen der Immunität steht.

Den Begriff Immunitas verwende ich in einem ähnlichen Sinne, wie René Girard mit seiner Rede von einer „Krise des Opfers“,[1] um damit anzuzeigen, wie das Immunitätsvokabular jäh, und nicht selten gewaltsam, Einzug in sämtliche Lebensbereiche hält – und welche brisanten Auswirkungen das zeitigt. Heute, im Jahr der Pandemie, vollzieht sich diese semantische Durchdringung vor aller Augen. Es ist von nichts anderem mehr die Rede als von Immunität – ob natürlich erworben oder induziert, temporär oder lebenslang, ob individuelle Immunität oder Herdenimmunität. Mit Hilfe von Massentests wird die Immunisierungsrate verschiedener Bevölkerungen ermittelt, werden Schwellenwerte errechnet, ab wann man sich auf der sicheren Seite wähnen kann.

September 2021

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In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

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