
Bild: Wechselstube in Istanbul, 1.12.2021 (IMAGO / NurPhoto)
Recep Tayyip Erdoğan – oder „Rais“, der Führer, wie ihn seine Anhänger nennen – ist wiederholt für politisch tot erklärt worden. Sei es während des Aufstandes der Jugend im Gezi-Park 2013, sei es nach den von der Gülen-Sekte aufgedeckten Korruptionsskandalen ein Jahr später, in die auch Erdoğans Familie verwickelt war, oder nach dem Putschversuch im Sommer 2016. Doch ausgerechnet immer dann, wenn sich Erdoğan in einer scheinbar ausweglosen Situation befand, lief er zu großer, machiavellistischer Form auf und ließ seine Gegner über die Klinge springen. Aus jeder Krise, so scheint es, geht Erdoğan gestärkt hervor. Man sollte deshalb vorsichtig sein, wenn man den Anfang vom Ende seiner mittlerweile knapp 19 Jahre währenden Herrschaft prognostiziert – und dennoch: Das Endspiel für Erdoğan hat bereits begonnen.
Der offensichtlichste Hinweis dafür sind seine schlechten Umfragewerte. Sowohl seine Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP) als auch er selbst erhalten seit Monaten Zustimmungswerte von höchstens dreißig Prozent, teilweise landen sie bereits darunter. Insgesamt liegt das Regierungsbündnis aus AKP und der rechtsradikalen MHP in den Umfragen deutlich hinter dem Oppositionsbündnis. Das gab es seit dem Wahlsieg der AKP im Herbst 2002 noch nie. Gewiss, Umfragewerte sind Momentaufnahmen und können sich schnell wieder ändern.