
Bild: Antikriegsplakate mit Bildern des russischen Präsidenten Wladimir Putin in in Warschau/Polen, 23.3.2022 (IMAGO / NurPhoto)
Im Westen herrscht verbreitet das Gefühl, dass Wladimir Putin nicht nur daran gehindert werden muss, die Ukraine zu kolonisieren, sondern dass er vielmehr für seine Barbarei auch bestraft gehört – ein Imperativ elementarer Gerechtigkeit. Allerdings sind die Regierenden zugleich mit einem zweiten Imperativ konfrontiert. Die erschreckende Realität ist ja, dass die Atomkriegsgefahr gegenwärtig größer ist als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt seit der Kubakrise von 1962. In mancher Hinsicht übertrifft das Risiko, dass die Krise außer Kontrolle gerät, heute sogar noch dasjenige, vor dem damals John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow standen. Anders als 1962 tobt 2022 auf einem Territorium, das für beide Seiten von vitalem Interesse ist, schon ein heißer Krieg. Die eine Seite sieht dieses Territorium als wichtig für ihre nationalen Interessen an und die andere weiß, das von ihm ihr Überleben als Nation abhängt. Der Krieg ist, anders gesagt, zu einem Nullsummenspiel geraten – auch wenn es keinen vernünftigen Grund dafür gibt, Putins Glauben, die Ukraine bedrohe Russlands Sicherheit, irgendwelche Berechtigung zuzusprechen.
Noch gefährlicher wird die Situation dadurch, dass die Ukraine legitimer- und vernünftigerweise durch eben jenes Militärbündnis bewaffnet und versorgt wird, das Moskau am meisten fürchtet – die Nato. Gleichzeitig wird Russland einer immer einschnürenderen Wirtschaftsblockade unterworfen, die seinen Rückzug erzwingen soll.