Die russische Gesellschaft nach einem Jahr Krieg

Bild: Moskau, in der Nähe des Gorki-Parks ( IMAGO / Russian Look / Konstantin Kokoshkin)
Auch ein Jahr nach Beginn der russischen Invasion der Ukraine verblüfft noch immer der enorme Kontrast zwischen dem Schock, den Russland damit international ausgelöst hat, und dem trägen Weiter-so im Land. Trotz des Krieges, trotz der schrecklichen Zerstörungen in der Ukraine, trotz der riesigen Zahl ermordeter ukrainischer Zivilisten und Soldaten, trotz der, nach ukrainischen Angaben, vielleicht mehr als 100 000 getöteten russischen Soldaten geht das Leben der meisten Menschen in Russland bisher weiter, als gebe es den Krieg nicht. Die politischen Eliten wiederum tun so, als laufe alles, wie Präsident Wladimir Putin gerne sagt, „nach Plan“. Seine Orientierung auf einen Sieg scheint für Volk und Macht weiter die einzige vorstellbare politische Option zu sein.
Die militärischen Erfolge der Ukraine seit dem Sommer – nicht zuletzt dank westlicher Waffenlieferungen – haben die allgemeine Stimmung zwar verdüstert, aber, soweit zu sehen, bei kaum jemandem zu einem Umdenken geführt. Umfragen des unabhängigen Lewada-Zentrums zeigen eine erstaunliche Kontinuität: Die Zustimmung der Bevölkerung zum Angriff auf die Ukraine ist unverändert hoch. Mehr als die Hälfte der Befragten, so Lewadas Grandseigneur Lew Gudkow in einem Interview zu Jahresbeginn, ist nach wie vor der Meinung, dass die sogenannte „spezielle Militäroperation“ im Großen und Ganzen ein Erfolg sei und Russland letztendlich siegen werde.