
Bild: Mark Carney, Premierminister Kanadas, 9.3.2025 (IMAGO / ZUMA Press)
Zum Jahresende 2024 lag die Konservative Partei Kanadas mit über 25 Prozentpunkten Vorsprung in den Umfragen scheinbar uneinholbar vor den regierenden Liberalen. Ministerposten wurden bereits verhandelt, Regierungspläne ausgearbeitet. Der liberale Premierminister Justin Trudeau hatte seine Popularität weitgehend eingebüßt; seine Minderheitsregierung wirkte nach drei Legislaturperioden erschöpft und sah dem Machtwechsel nahezu resigniert entgegen. Über zwei Jahre hinweg hatte Pierre Poilievre, der jugendlich wirkende und telegene Oppositionsführer der Konservativen, Trudeau aggressiv unter Druck gesetzt, ihn wiederholt persönlich attackiert und die öffentliche Debatte mit der Forderung nach Veränderung angesichts steigender Lebenshaltungskosten dominiert. Kurz: Die Liberalen schienen politisch am Ende.
Doch dann nahm eine dramatische Entwicklung ihren Lauf, die selbst für erfahrene Beobachter:innen kanadischer Politik Vergleichbares in der Geschichte des Landes sucht: Am 28. April 2025 gewannen die Liberalen überraschend die Parlamentswahl. Mit 43,8 Prozent der Stimmen und 169 von 443 Sitzen sicherten sie sich ihre vierte Amtszeit, – verfehlten jedoch knapp die absolute Mehrheit von 172 Mandaten. Mark Carney, der erst wenige Wochen zuvor auf Trudeau als Parteivorsitzenden und Premierminister gefolgt war, trat am Wahlabend selbstbewusst vor die Medien und versprach, in außergewöhnlichen Zeiten entschlossen die Interessen Kanadas zu vertreten.