Ausgabe Juni 2015

Israels ehrliche Regierung

Israels 34. Regierung verdient ihr Land, und Israel verdient seine 34. Regierung. Denn diese Regierung ist authentisch und repräsentativ, ehrlicher Ausdruck des Zeitgeists und der Gefühle, die die meisten Israelis innerlich bewegen. Es ist eine ehrliche Regierung, unverstellt, ungeschminkt und ohne Ausreden, eine WYSIWYG-Regierung: What You See Is What You Get. Begrüßen wir sie – die vierte Regierung Netanjahu.

Sie wird nicht vornehm tun und keine leeren Sprüche klopfen. Weder über den Frieden noch über die Menschenrechte, weder über eine Zwei-Staaten-Lösung noch über Verhandlungen und auch nicht über Völkerrecht, Gerechtigkeit oder Gleichbehandlung. Die Israelis und die ganze Welt werden mit der Nase auf die Wahrheit gestoßen. Und so sieht sie aus, die Wahrheit: Die Zwei-Staaten-Lösung ist tot (sie hat ohnehin nie das Licht des Tages erblickt); den Palästinenserstaat wird es nicht geben; das Völkerrecht gilt für Israel nicht; Besatzung wird weiterhin schleichend, aber beschleunigt in Annexion übergehen, die rasch zum Apartheid-Staat führen wird; „jüdisch“ schlägt „demokratisch“; Nationalismus und Rassismus werden sich regierungsamtlicher Beglaubigung erfreuen – auch wenn es sie schon seit langem gibt.

Weder Netanjahu noch der Knesset-Abgeordnete (MK) Naftali Bennett, Vorsitzender der Partei „Jüdisches Heim“ (Habayit Hayehudi) noch MK Ajelet Schaked und MK Eli Ben-Dahan als Fraktionsmitglieder seiner Partei haben diese Entwicklung losgetreten. Sie haben die Dinge nur beschleunigt. Schock oder Wut verbieten sich ebenso wie Klagen über die Grausamkeit des Schicksals. Diese Regierung steht für Kontinuität, nicht für Wandel.

Sicher, einige ihrer Mitglieder sind extremer als ihre Vorgänger, aber da geht es hauptsächlich um rhetorische Unterschiede. Selbst die provokanteste Neubesetzung – Ajelet Schaked als Justizministerin –, die weltweit Aufsehen erregte, ist weniger revolutionär, als es scheint. Schaked wirkt ungehobelt und rabiat, während Tzipi Livni von der Zionistischen Union, ihre Vorgängerin, vergleichsweise einfühlsam und adrett erschien. Doch eine Justizministerin Shaked wird keine Mühe haben, Risse in unserer Demokratie zu vertiefen, die schon lange offen liegen.

Den besten Test auf das Wesen des in Israel herrschenden Regimes liefern Besatzungsherrschaft und Kriegsverbrechen: Die Apartheid ist bereits tief verankert, und Kriegsverbrechen bleiben unaufgeklärt. In dieser Hinsicht hat auch Livni Israel von ihrem Büro im besetzten Jerusalem aus nicht gerechter gemacht. Sicher, Schakeds Vorstellungen sind nationalistischer, und vom Wesen der Demokratie versteht sie rein gar nichts. Und gewiss hat es weltweit viele schockiert, dass eine Person zur Ressortchefin für das israelische Rechtswesen ernannt wurde, die sich mit einem der brutalsten Artikel einverstanden erklärte, die hierzulande je gegen das palästinensische Volk geschrieben wurden (von Uri Elitzur). Aber frommes Getue ist fehl am Platze. Elitzur hat nur ausgesprochen, was viele Israelis denken.

Auch die Ernennung eines weiteren Rassisten, Eli Ben-Dahans, zum stellvertretenden Verteidigungsminister, zuständig für „Civil Administration“ – die israelische Verwaltung im Westjordanland – hat nichts Weltbewegendes an sich. Aber ja, von Ben-Dahan stammt der Ausspruch, die Palästinenser seien „Tiere, nicht menschlich und nicht berechtigt zu leben“ – aber geben diese Äußerungen nicht eine Einstellung wieder, die in Wahrheit viele Israelis teilen? Ben-Dahan wird ihre Stimme sein. Schließlich behandelt Israel die Palästinenser seit nunmehr fast 50 Jahren so, und Ben-Dahan spricht lediglich unverblümt aus, wie die Dinge liegen. Jetzt verantwortet er die Civil Administration, und das ganze System „humanitärer Gesten“ wird zu Bruch gehen. Ben-Dahan ist der richtige Mann auf dem rechten Platz und zur rechten Zeit. Eine ausgezeichnete Personalentscheidung.

Mit Naftali Bennett wird einer, der stolz verkündet: „Ich habe massenhaft Araber getötet“ und diese Menschen „shrapnel in the buttocks“ nennt – „Granatsplitter-in-den-Arschbacken“ – jetzt als Bildungsminister tätig. Nun gut, aber wer in Israel denkt nicht wie er?

Der General, der die Operation „Gegossenes Blei“ mit all ihren Kriegsverbrechen befehligte und der über Baurechtsverstöße zu Fall kam, Yoav Galant, wird jetzt Bauminister. Ist das etwa keine gute Entscheidung? Uri Maklev, MK der Formation „United Torah Judaism“, wird dem Wissenschaftsausschuss der Knesset vorsitzen? Na und? Entspricht das nicht getreulich der Einstellung so mancher Israelis zur Wissenschaft?

Hört auf zu jammern! Mag sein, dass Israels Schattenregierung aufgeklärter sein sollte, nicht aber die echte Regierung. Sie steht für das, was die Israelis gewählt haben. Sie spiegelt wider, wo diese in Wahrheit stehen. Nun denn also: Es lebe die neue Regierung!

Aktuelle Ausgabe November 2025

In der November-Ausgabe ergründen Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey die Anziehungskraft des demokratischen Faschismus. Frank Biess legt die historischen Vorläufer von Trumps autoritärer Wende offen – ebenso wie die Lebenslügen der Bundesrepublik. Daniel Ziblatt zieht Lehren aus der Weimarer Republik für den Umgang mit den Autokraten von heute. Annette Dittert zeigt, wie Elon Musk und Nigel Farage die britische Demokratie aus den Angeln zu heben versuchen. Olga Bubich analysiert, wie Putin mit einer manipulierten Version der russischen Geschichte seinen Krieg in der Ukraine legitimiert. Ute Scheub plädiert für die Umverteilung von Wohlstand – gegen die Diktatur der Superreichen. Sonja Peteranderl erörtert, inwiefern sich Femizide und Gewalt gegen Frauen mit KI bekämpfen lassen. Und Benjamin von Brackel und Toralf Staud fragen, ob sich der Klimakollaps durch das Erreichen positiver Kipppunkte verhindern lässt.

Zur Ausgabe Probeabo

Weitere Artikel zum Thema

Die neue Merz-Doktrin?

von Jürgen Trittin

Jahrzehntelang durfte in keiner Grundsatzrede eines deutschen Politikers in Regierungsverantwortung der Satz fehlen: „Wir setzen auf die Stärke des Rechts statt auf das Recht des Stärkeren.“ Doch das war einmal. Bundeskanzler Merz‘ lautstarkes Räsonieren über den Krieg Israels gegen den Iran markiert den Bruch mit dieser Tradition.

Eigennutz statt Solidarität

von Klaus Seitz

Etwa eine Milliarde Euro weniger als im vergangenen Jahr steht dem Bundesentwicklungsministerium 2025 zur Verfügung. Doch nicht nur der Spardruck macht der Entwicklungszusammenarbeit zu schaffen, auch die strategische Neuausrichtung gefährdet ihre Zukunftsfähigkeit.

Besser als ihr Ruf: Die europäische Afrikapolitik

von Roger Peltzer

Schon unter Angela Merkel hat der afrikanische Kontinent in der deutschen Bundesregierung große politische Aufmerksamkeit erfahren. Die Ampelregierung setzt diesen Kurs fort: Seit seinem Amtsantritt reiste Bundeskanzler Olaf Scholz jedes Jahr nach Afrika.